Verlierer wird es immer geben
Dieses Zitat aus dem Interview mit Horst Zillessen scheint sich mit dem win-win Versprechen der Mediation zu beißen. Es reflektiert die Sicht des Praktikers und enttäuscht insofern, als die Mediation dann ja doch nicht mehr ist als ein Kompromiss. Was ist also dran an dem win-win Versprechen in der Mediation?
Eine Mediandin in einer Familienmediation wollte par tour nicht geschieden werden. Sie ließ sich auf die Mediation ein, weil sie über die Frage der Scheidung aber auch über die Frage der Regelung sogenannter Folgesachen eine Einigung herbeiführen wollte. Ihr wurde das Verfahren erklärt, dabei wurde das Ziel herausgestellt, eine win-win Lösung zu finden. Am Ende der Mediation war es nicht gelungen, den Mann von seinem Scheidungswunsch abzubringen. Dies wurde aber mit einer für die Frau großzügigen Scheidungsfolgenregelung bedacht. Die Mediandin sagte dann: „Ich fühle mich nicht als Gewinner“, als die Mediation vorüber war.
Wird den Medianden mit der Erwartung eines win-win Ergebnisses etwas vorgegaukelt? Das Zillessen Zitat verstärkt diesen Verdacht.
Wer Gewinner und wer Verlierer ist, unterliegt einer individuellen, relativen Beurteilung. Bezogen auf die Position, sich nicht scheiden zu lassen, ist die Mediandin sicherlich eine Verliererin. Bezogen auf das Gesamtergebnis ist sie eine Gewinnerin. Die Beziehung zum Ehemann ist erhalten (wenn auch nicht auf der intimen Paarebene), man streitet sich nicht und akzeptiert die Entscheidung des jeweils anderen und man hat eine moderate Lösung der finanziellen Fragen gefunden, die den Interessen nahe kommt und eine Zerschlagung verhindert hat.
Wer also entscheidet jetzt, was Gewinner und Verlierer bedeutet?
Die Relation ist das Entscheidende. Relativiere ich das Ergebnis mit dem was möglich ist, sollte sich ein Gewinnerverständnis einstellen. Falls nicht wäre die Frage zu klären, ob der Mediand oder die Mediandin wirklich verstanden haben in welchem Rahmen eine Entscheidung möglich ist und worin der Nutzen liegt. Dann wäre eine Aussage wie: „Ich hätte mir mehr versprochen aber ich habe verstanden dass dieses Ergebnis das Maximum ist, das man aus der Situation mitnehmen kann“, durchaus im Rahmen des Gewollten und vor allem Möglichen.
Wodurch unterscheidet sich dann das Ergebnis von einem Kompromiss?
Äußerlich muss sich ein Kompromiss nicht von einem Konsens unterscheiden. Es wäre auch falsch, den Kompromiss als ein ungewolltes Ergebnis darzustellen. Immerhin wird er ja auch zwischen den Parteien vereinbart. Das würden sie nicht tun, wenn der Kompromiss ungewollt ist. Der Unterschied ist der, dass man bei einem Kompromiss meint, es hätte anders ausgehen können, wenn sich der Richter, der Mediator oder wer auch immer nur etwas mehr Mühe gegeben hätten. Kompromisse tragen deshalb ein Stück Resignation in sich. Ein Konsens hat sich mit allen alternativen Möglichkeiten auseinandergesetzt und alles ausgelotet, was möglich ist oder nicht. Der Konsens unterstellt die Einsicht, dass es kein besseres Ergebnis geben kann.
Es wäre falsch und vermessen davon auszugehen, dass das win-win Ergebnis in der Lage sei, die physikalischen – oder besser gesagt die wirtschaftlichen – Gesetze zu überwinden. Bei einer Scheidung etwa, wo Einkommen und Vermögen aufzuteilen sind, kann schon rein rechnerisch hinten nicht mehr rauskommen als vorne hereingesteckt wurde und davon ist es dann auch nur die Hälfte. Wir haben den Halbteilungsgrundsatz, so dass es eine unabänderbare Bedingung ist, dass am Ende nicht viel mehr als die Hälfte übrig bleibt. Wenn das dann als Verlust bezeichnet wird, liegt die einzige Option dieses Ergebnis zu vermeiden darin, sich nicht scheiden zu lassen. Das win-win Versprechen kann deshalb nicht weiter gehen als es die äußeren Bedingungen erlauben. Es muss besser (nutzvoller) sein als ein Gerichtsurteil, was in der WATNA/BATNA Phase, die in der Mediation auch als das Ausstiegsszenario beschrieben wird, aktiv festzustellen ist. Deshalb kann man (bei korrekter Durchführung der Mediation) davon ausgehen, dass das hier gefundene Ergebnis stets besser zu sein hat, als ein ausgeurteiltes.
Eigentlich hat das win-win Versprechen aber eine ganz andere, nämlich strategische Bedeutung. Es geht nicht darum, unerfüllbare Erwartungen zu wecken, sondern darum, die Parteien in eine Kooperation zu überführen. Ohne eine win-win Zielvorgabe befänden sich die Parteien in einem Nullsummenspiel. Sie würden ihren Gewinn nur auf Kosten des Verlustes des Gegners herzustellen wissen. Das win-win Versprechen entkoppelt den Gewinn des Einen vom Verlust des Anderen, indem es sagt, jeder kann Gewinner werden, unabhängig davon, ob der Andere gewinnt oder verliert.
Ein echter Konsens ist der tatsächliche Gewinn für die Medianten im Verfahren.
Ich bin ebenfalls der Auffassung, dass eine in das gerichtliche Verfahren eingebildete Mediation nicht wirklich funktionieren wird.
Alleine die Tatsache, dass ein Gericht nicht die notwendige Zeit aufbringen kann, die Einstellungen der Parteien hinsichtlich der Konsensfähigkeit zu beeinflussen, vermag eine wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Lösung im gerichtlichen Verfahren nicht vorzuhalten.
Abgesehen davon befinden wir uns im gerichtlichen Verfahren immer im Nullsummen Spiel. Nach meinem Leben ist daher allenfalls ein Kompromiss möglich, welcher aber keinen Mediationsgesetz erforderlich macht.
Ein Mediationsgesetz formalisiert im Ergebnis das Verfahren meiner Auffassung nach zu sehr. Die gesetzliche Regelung ist meines Erachtens in vielen Teilen kontraproduktiv. Die Frage ist, kann ein Gesetz möglich definieren, was Mediation ist? Wer entscheidet dies überhaupt?
Deine Ausführungen decken sich vollständig mit meinen Erfahrungen.
Der Satz: „Kompromisse tragen deshalb ein Stück Resignation in sich. Ein Konsens hat sich mit allen alternativen Möglichkeiten auseinandergesetzt und alles ausgelotet, was möglich ist oder nicht. Der Konsens unterstellt die Einsicht, dass es kein besseres Ergebnis geben kann.“ kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dieser Unterschied macht ja gerade die Nachhaltigkeit aus. Und weiter noch. Je mehr die Medianden in der Verhandlungsphase auf einander zugehen, desto weniger kommt es ihnen auf das „genaue“ Ergebnis an, sondern mehr auf die Art, wie es zustande kommt.
Da diskutieren sie nicht über den Wert eines Autos, das einer schon vor der Ehe hatte und oft auch nicht darüber, wie hoch das gemeinsam gebaute Haus jetzt anzusetzen ist. Da geht man einfach davon aus … bis beide ein gutes Gefühl dabei haben. Das betrifft dann auch alles, was mit den Kindern zusammen hängt.
Und beide wissen: Der Gewinn liegt in der Zukunft.
Kein Kompromiss kann das leisten.
Nur eines darf man nicht vergessen. Der Weg zur Konsensfähigkeit und damit zum Konsens ist meist wesentlich länger, als der zum Kompromiss. Deshalb stehe ich der Güterichter“mediation“ mit größter Skepsis gegenüber.