Das ist die Schlagzeile eines Artikels in “Zeit Online“: Sechzig prominente Persönlichkeiten Deutschlands, darunter Roman Herzog, Gerhard Schröder, Antje Vollmer, von Weizsäcker, Vertreter aus allen Gesellschaftsbereichen wie Kirchen, Gewerkschaften, Autoren und Künstler haben mit ihrem Appell „Nicht in unserem Namen!“ an die amtierenden Politiker gefordert, mit Russland einen Dialog zu führen!
Der Aufruf beginnt mit einer Unwahrheit: “Niemand will Krieg”. Wenn das wahr wäre, gäbe es ihn nicht. Die Wahrheit ist: egal, ob man ihn will oder nicht, die ‚Option Krieg‘ ist verbal und real in den Fokus gerückt worden – und bereits dies ist hochgradig gefährlich. Es könnte – wenn man dieses Denken nur zuließe – eine ‚self-fullfilling-prophecy‘ werden: Krieg lässt sich auch herbeireden!
Mit Mediation kann man Konflikte lösen – und zwar in jedem Streitzustand. Im Verständnis der Mediationsverfahrenstechnik wäre sogar ‚Krieg‘ eine Konflikt-Lösung: theoretisch eine der ‚Konfliktlösungs-Optionen‘, praktisch für uns eine inakzeptable Dummheit! Betrachtet man die öffentliche Presse, stellt sich für Mediatoren die Frage: In welcher Konfliktphase befinden wir uns denn bereits… denn Medien berichten ja nicht zwingend Wahrheiten! Sind wir schon in Phase 4?
Klaus Gerosa, Journalist, Mitglied des Mediatorenverbandes Integrierte Mediation, weist zu Recht darauf hin, dass wir als Mediationsverband mit dem Selbstverständnis ‚integrativer Konflikt-Befriedung‘ einen derartigen Appell und Aufruf schon längst hätten unternehmen müssen. Er hat Recht! Eigentlich sollten alle Mediationsverbände sich zu Wort melden und das weltweit! Wir waren nicht untätig, denn über die europäischen Netzwerke der Integrierten Mediation arbeiten wir mit unseren Partnern und Mitgliedern auch in Russland zusammen. Nur: was kann man in sinnvoller Weise und konkret darüber hinaus noch tun?
Dass sich namhafte Personen jetzt öffentlich zu Dialog und Frieden bekennen, ist ganz sicher ein löblicher Schritt. Ein Mediator weiß jedoch, dass Erwartungen mit den Interessen der Konfliktparteien einhergehen müssen, damit sie Realität werden können. Erwartungen wenden sich an Andere – sie helfen einer Konfliktlösung nicht weiter.
Nicht darauf zu schauen, was passieren könnte, sondern auf das schauen, was passiert: das jedenfalls wäre die Herangehensweise eines Mediators. Er würde den Streit und die jeweiligen Motive der Parteienpositionen genau verstehen wollen, eher er über einen ‚Brückenschlag‘ für gemeinsam erarbeitete Lösungen nachdenkt. Er würde sogar das Parteien-Denken an Lösungen verhindern, solange die Fakten und Motive nicht aufgeklärt sind. Seine Fragestellung lautet: “Was passiert hier gerade? Was wollen uns die Konfliktparteien sagen? Wer sind überhaupt die tatsächlichen Konfliktparteien und was ist ihr Anliegen, was sind ihre Bedürfnisse und Motive?”
Präsident Putin sagt, er fühle sich nicht ernst genommen. Man wolle ihn unterwerfen. Obama scheint das gleiche Problem zu haben und ‚wie im normalen Leben‘ fordern beide Beachtung ein, nicht ohne ihre jeweiligen Interessen (diesmal im Verständnis von scheinbar offenbar inkompatiblen Zielen) im Blick zu haben. Ein fachkundiger Mediator stellt die jeweiligen ‚Ich-Botschaften‘ heraus. Er fragt: Worum geht es hier eigentlich genau und legt die Motive offen. Es hilft nicht, zu sagen: “Du bist ein Kriegstreiber! Ich will zwar keinen Krieg, aber wenn Du nicht anders kannst und Du diese Situation heraufbeschwörst…. dann will ich ihm auch nicht ausweichen”. Besser wäre es doch zu fragen: “Was willst Du, was und warum brauchst Du was, welche Optionen sind möglich? Wir werden einen Weg finden”.
Ein solcher Problemlösungsansatz funktioniert aber nicht, wenn man den Anderen zum Terroristen deklariert, um dann zu sagen: “Mit Terroristen verhandele ich nicht!” Oder dann die Verhandlungen unter Vorausbedingungen zu stellen, von denen man weiß, dass die andere Seite sie nicht annehmen kann, weil sie für sie eine Unterwerfung bedeuten.
In den 70er Protestjahren lautete ein weithin bekannter Spruch: “Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin!”. Das war wohl eine Illusion. Wenn es stimmt, dass niemand Krieg will, warum gibt es ihn dann, wieso kann sich dieser psychopathologische Zustand heute verbreiten, obgleich die Informationstechnik sich weltweit geradezu revolutionär verbessert hat?
Offenbar gibt es etwas, das für einige Entscheider wichtiger ist als Menschenleben, wichtiger als gegenseitiger Respekt, Achtung und Verständnis. Wer oder was tritt hier in Vorleistung? Man hat den Protestierenden der 70er Jahren verschwiegen, wie der Vers weiter geht: “Stell Dir vor, es gibt Krieg und keiner geht hin, dann kommt der Krieg zu Dir!”. Das klingt unheimlich – wie etwas Unausweichliches. So unausweichlich, dass das Wort ‚Krieg‘ das meistgebrauchte Wort der Gegenwart ist! Google findet mehr als 55.600.000 Beiträge dazu aber nur 5.970.000 zum Frieden. Das sollte man so nicht hinnehmen, denn der Krieg ist ausweichlich und vermeidbar; nicht allerdings, wenn man auf ihn 10mal mehr fokussiert als auf den Frieden. Es sollte umgekehrt sein!
Aus Sicht des Mediatorenverbandes Integrierte Mediation befindet sich der aktuelle Konfliktprozess Ukraine bzw. Russland in der Mediations-Bearbeitungsphase 2. Es werden nämlich Standpunkte ausgetauscht und Positionen gebildet. Für eine ordnungsgemäße Mediations-Konfliktbearbeitung fehlt die Phase 1 (wie sind die Verhandlungsbedingungen und Ziele?). Phase 2 ist nicht wirklich klar, auch wenn man aus der Vielzahl einseitiger Lagebeschreibungen und gegenseitiger Vorwürfe die Auffälligsten herausstellen würde (worum genau geht der Streit, was soll hinten herauskommen?), ganz zu schweigen von der Phase 3 (Motiv- und Interessenerhellung)! Üblerweise aber wird schon über die Phase 4 (Lösungen) diskutiert, ohne herauszustellen, wofür die ‚Option Krieg‘ eine Lösung darstellen könnte. Denn alle Informationen in der Öffentlichkeit sind unklar, widersprüchlich und keinesfalls eine Basis für Entscheidungen. Die Berichterstattung im Osten klingt ganz anders als diejenige im Westen. Wer hat Recht und: wer entscheidet darüber, wer mit wieviel Prozent für sich – oder auch in den Augen anderer – Recht hat? Auch das sollte man hinterfragen. Die wenigen Wissenden geben nichts von objektiv festgestelltem Wissen heraus – und die Öffentlichkeit weiß viel zu wenig, um sich eine Meinung bilden zu können, um dann konkret zu handeln!
Es geschieht etwas, das sich wie ‚Unrecht‘, wie ‚Ungerechtigkeit‘ anfühlt. Solcherart ‚undifferenziert Nebulöses‘ werfen sich gerade beide Seiten vor – wobei Abermillionen Menschen wie Geiseln betroffen und eingebunden sind, ohne sich wehren zu können! Aber wer entscheidet, was Recht und Unrecht ist? Der Westen oder der Osten? Welche Menschen, welche Gruppierungen?
Es gibt ein Konglomerat unterschiedlichster Interessen aus der Politik-, Finanz-, Organisations- und Waffenlobby. Der Fokus verengt sich mehr und mehr: so sehr, dass die Wahrnehmung eingeschränkt wird (siehe Beitrag ‚Ukraine unterschlägt Ukraine-Russen‘ NTV Artikel vom 11.12.2014). Informationen werden auf allen Seiten so aufbereitet und zugeschnitten, dass die jeweilige Interessenslobby den von ihr präferierten Weg quasi ‚zwingend logisch‘ vorgibt! Sollen diese ‚Teile des Spiels‘ das Schicksal unser Generation bestimmen? Was jetzt nur hilft, ist ein sehr kritischer Umgang mit Informationen, die intensiv eingefordert werden müssen! Was sind die Fakten, die zu Drohungen veranlassen? Was will man verhindern? Führt man nicht genau das herbei, was man verhindern will? Müssen sich nicht alle Bürgerinnen und Bürger – als Kinder der Nachkriegsgenerationen – verraten vorkommen? Oder stellt sich der Schwur “Deutschland wird sich nie wieder an einem Krieg beteiligen!” als dreiste Lüge dar?
Ich komme zurück auf die Aufforderung von Klaus Gerosa: „Die Mediationsverbände sollten sich zu Wort melden!“ Ja, ganz sicher! Aber sie sollten nicht heulen wie die Wölfe. Sie sollten ihren Job tun, sie sollten mediieren; und ‚Mediieren heißt Verstehen‘. Das können die Mediationsverbände, indem sie die bei der Integrierten Mediation so penetrant geforderte Unterscheidung zwischen Fakten, Meinungen und Emotionen ebenfalls und überall einfordern! Sie mögen ‚verstehen ermöglichen‘, um Verstehen zu vermitteln. Der Mediatorenverband Integrierte Mediation unterstützt den Appell der Prominenten an die Bundesregierung:
“Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten. Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein”.
Ja, als Mediatorenverband können wir eine solche Aussage nur unterstützen und auch damit ‚die Mediation‘ in Deutschland als ‚Bewegung‘ fachlich ausgebildeter Mitbürger und Mitbürgerinnen ansprechen:
Wir rufen alle Mediatoren als ‚Verstehensvermittler‘ auf, mit Nachrichten in den Medien zum Konflikt in der Ukraine bzw. mit Russland kritisch umzugehen. Wir rufen dazu auf, unzulänglich erscheinende Informationen aufzudecken, zu hinterfragen und somit dazu beizutragen, dass nicht auf Fakten basierende Informationen also solche offenbar werden. Wir rufen schließlich dazu auf, nach den jeweiligen Interessen, Motiven und Bedürfnissen aller Konfliktpartner zu fragen, damit diese offenbart und geklärt werden, ehe man vorschnell über Konsequenzen (Sanktionen, Aufrüstung etc.) spricht oder solchen zustimmt!
Mediatoren und Mediatorinnen sollen Friedensstifter sein: im Kleinen und im Großen!
Arthur Trossen 2. Vorstand
PS.: Wir bitten um Ihre / Eure Meinungsäußerungen, Vorschläge, Kritik, Hinweise, Aktivität! Eine Plattform bietet: https://www.in-mediation.eu/service/open-eyes
(c) Foto: Roman Herzog. Fundstelle: wiki commons, By User:Zeitblom (Own work)
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