Diese Frage wurde auf der Konferenz der integrierten Mediation „Verstehen 3.0“ am 28. und 29.11.2015 in Köln aufgegriffen. Sie steht mit dem Leitthema im Zusammenhang, ob die Mediation die Gesellschaft verändern kann. Um die Antwort vorweg zu nehmen: Sie könnte es. Allerdings wird die menschliche Evolution aber genau das noch zu verhindern wissen. Das ist der Grund, warum sie zwar individuell aber nicht generell erst recht nicht global und wenn, dann nur mit Verspätung ankommen kann.
Man könnte es auch so formulieren:
Wenn die Mediation angekommen ist, haben die Menschen einen weiteren Schritt in der Evolution geschafft.
Das folgende Video wurde für die Konferenz „Verstehen 3.0“ angefertigt. Es soll auf einfühlsame Weise in die Problematik einführen:
Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=jRHc1ieXKGA
Auf der Konferenz in Köln hatte das Video eine mehr als 1 stündige Diskussion herbeigeführt. Die Teilnehmer waren sich einig, dass dieses Thema zu vertiefen sei. Sie haben erkannt, dass es sich auf alle Fragen der Mediation auswirkt, bis hin ins Marketing, wo ein Teilnehmer meinte, die Kosten der Ausbildung würden sich in der Mediation nicht amortisieren. Seine Meinung wurde zwar bestritten. Sie zeigt aber die Irritationen und ihren Einfluss auf das, was unter Mediation zu verstehen ist und was wo und wie ankommen soll. Es gibt also viel zu tun. Um herauszufinden, wie die Ankunft der Mediation sichergestellt und beschleunigt werden kann, mögen die nachfolgenden Ausführungen beitragen.
Widersprüche und Sinnhaftigkeit
Warum die Mediation nicht ankommt zeigen die jüngsten Ereignisse in Paris vom 13. November 2015 sehr eindringlich. Eine kriminelle Tat wird zum Krieg definiert. Staatsangehörige Täter werden zu Ausländern deklariert. Es wird eingeräumt, dass der Krieg den Terror nicht besiegen kann. Trotzdem wird der Krieg herbei gerufen. Wir wissen, dass die als Racheakt erscheinenden Luftangriffe in Syrien nicht nur weitere Flüchtlinge, sondern auch weiteren Terror produzieren. Obwohl wir angeblich beides nicht haben wollen, werden die Angriffe nicht nur fortgesetzt sondern intensiviert. Wir wissen auch, dass wir Zivilisten töten und genau das tun, was wir so lautstark verurteilen. Schließlich erklären wir uns bereit, mit den Soldaten Syriens aber gegen deren Herrscher zu kämpfen. Wir wissen auch längst, dass der kriegerische Einsatz kein strategisch abgestimmtes Ziel kennt, wodurch die Sinnlosigkeit des Vorgehens nochmals unterstrichen wird. Wir erkennen, dass die Art der Kriegsführung den Krieg nicht beenden wird und muten unseren Kindern ein Erbe zu, für das sie nicht einmal gefragt werden. Wir behaupten, die Freiheit, das Leben und die Menschenrechte zu schützen und treten alle diese Werte mit Füßen. Wir wissen, dass unsere Worte bedeutungslos sind; umso mehr pochen wir auf deren Bedeutung, die in dieser Verwirrung niemand mehr versteht.
Die Liste des menschlichen Irrsinns ist nicht enumerativ. Sie lässt sich fast beliebig erweitern. Diese Feststellung mag nicht als Kritik oder Vorwurf verstanden werden. Sie beschreibt ein menschliches Phänomen; keinesfalls ein Phänomen der Gegenwart. Die Welt und der Mensch sind widersprüchlich. Deshalb findet sich die Wahrheit eher im sowohl als auch als im entweder oder. Sie liegt in der Mitte, nicht im Extrem. Mitte heißt auf lateinisch „Mediates“. „Medius“ bedeutet in der Mitte. „Mediation“ heisst vermitteln. Vermitteln bedeutet, den Widerspruch in einer Synthese aufzulösen.
Ohne den mediativen Ansatz werden die Widersprüche weder verstanden noch zusammengeführt. Das Potenzial wird verkannt. Polarisation ist die Folge. Das mangelnde Verstehen schürt die Gewalt. Es verhindert sogar, dass die Gewalt in Frage gestellt wird. Der längst erkannte Irrsinn reicht nicht, die Widersprüche aufzudecken. Das Unverständnis ist noch nicht laut genug, die Ratlosigkeit einzugestehen. In den Ohren eines Nicht-Mediators klingt ein solches Eingeständnis sicher wie ein Versagen. Für einen Mediator ist es alles andere als das. Für ihn ist es die erste wichtige Einsicht, die den nächsten Schritt in der Mediation erlaubt, nämlich die Entscheidung, nach einer Lösung suchen zu wollen. Solange jeder so tut, als wüsste er die Lösung und solange das Volk nach Politikern ruft, die ihm frech das Unlösbare versprechen, wird die Suche nach einer Lösung und mithin die Mediation verhindert. Emotionale Entscheidungen bekommen einen höheren Stellenwert als ehrliche Eingeständnisse. Die Durchsetzungsfähigkeit ist wichtiger als die Weisheit. In einem solchen Klima hat die Mediation wenig Chancen.
Anders Denken
Die Mediation hat es auch deshalb schwer, weil sie anders denkt. Im Denken der Mediation gibt es keine Mehrheit. Es bedarf keines Minderheitenschutzes. Schwarmintelligenz wird möglich. Alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Die Herangehensweise unterscheidet sich von der Demokratie. Dort beruhen Entscheidungen auf einer Legitimation statt auf Konsens. Die Legitimation wird aus der Mehrheit abgeleitet. Konsequent versucht der Demokrat Mehrheiten statt Konsens herzustellen. Mehrheiten herzustellen ist wesentlich einfacher. Es kommt mit weniger Informationen und weniger Nachfragen aus. Verstehen ist nicht wichtig, auf das Nachreden kommt es an. In der Mediation wären solche Strategien wirkungslos. Ein mediatives Denken würde deshalb die Machtverhältnisse verschieben, weil es sie ignoriert. Jeder ist auf gleicher Augenhöhe. Eine Vorstellung, die für einen Nicht-Mediator das Unmögliche beweist. Für den Mediator ist es eine Selbstverständlichkeit. Die Demokratie suggeriert gleiche Augenhöhe, ist aber ein auf Macht basierendes Entscheidungsmodell. Auch wenn die Macht angeblich vom Volke ausgeht. Das Machtmodell schützt sich, indem es seine Entscheidungsmacht ausspielt und die Mediation nicht als Kompetenz, sondern als ein mehr oder weniger klar abgrenzbares Verfahren der Konfliktbeilegung degradiert. So erlaubt sie es, dass die Qualität der Information geringwertig bleiben kann. Denn der Maßstab für Informationen zur Bildung von Mehrheiten ist geringer als der für die Herbeiführung von Konsens. Weil die Bildung von Mehrheiten den leichteren Weg darstellt, wird er gegangen.
Warum ist der Weg in den Konsens schwieriger? Konsens setzt Verstehen voraus. Zum Verstehen braucht es mehr und tiefergehender Informationen als für Parolen. Es bedarf einer Reflexion und Abwägung. Verstehen ist auch Auseinandersetzung mit Komplexität. Wieder geben die aktuellen Themen ein Beispiel: Es würde nicht genügen zu fordern, dass wir die Zahl der Flüchtlinge reduzieren. Wir müssen über nationale und internationale Politik, über unsere Verfassung über den EU Vertrag, über das Recht, die Bürokratie die Ökonomie, über Werte und Nutzen diskutieren und dabei Ursache und Wirkung in einem komplexen Chaos bewerten, bevor wir uns eine Meinung erlauben können.
Mediation ist Verstehensvermittlung. Ein Mediator ist darauf geschult die Informationen einzuholen und wertfrei zusammenzuführen. Er geht diszipliniert mit Informationen um. Er bewertet nicht, ohne dass die Bewertung zuvor abgestimmt wurde. Er spekuliert nicht was andere tun oder lassen könnten, er fragt danach. Bevor er nicht alle Informationen, getrennt nach den Dimensionen der Komplexität, erfasst hat, und bevor nicht verstanden wurde, worum es geht, wird er keine Meinung einnehmen oder Entscheidungen erlauben. Das Verstehen beurteilt sich aus der Metaebene und fühlt sich deshalb auch für die anders an, die glauben, bereits verstanden zu haben.
Einstein sagte einmal: Eine neue Art von Denken ist notwendig, wenn die Menschheit weiterleben will. Er sagte auch: Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. In beiden Fällen ist Mediation die Antwort. Sie ist ein verkanntes Tool, weil sie mit konventionellen Verfahren verglichen wird. Die Mediation mit dem Gericht zu vergleichen, heißt Äpfel mit Birnen vergleichen. Mediation lebt von einer Art des Denkens, die mit Konventionen im Widerspruch steht. Das muss verstanden und akzeptiert werden, wenn die Mediation eine Chance haben soll.
Der Weg als Ziel
Ein weiterer Grund, warum die Mediation nicht ankommt ist ihre Prozesshaftigkeit. Der Mensch denkt in Lösungen, nicht in Prozessen. Das hat ihn die Natur gelehrt. Würde das Hühnchen, das den Bussard am Himmel sieht, anfangen zu reflektieren: „Bussard, könnten wir nicht Freunde sein?“ Wird es die Reflexion wohl nicht überleben. Schnelle Entscheidungen – gleich ob sie Sinn machen oder nicht – suggerieren Überlebensfähigkeit und werden deshalb Fragen gegenüber bevorzugt. Die Mediation stellt Fragen und Entscheidungen zurück. So gesehen ist sie widernatürlich, aber ungewohnt und schlau.
Wenn wir uns fragen, warum die Mediation nicht ankommt, sollten wir wissen wo sie ankommen soll? In den Herzen der Menschen, im Verstand, im Portemonnaie? Jede dieser Lösung hat unterschiedliche Anforderungen und Konsequenzen. Die Auswahl bereits Auswirkungen auf die Zielfestlegung wie auf den Weg. Ein Mediator würde deshalb zu fragen haben: Wofür suchen wir eine Lösung, was ist ihr Nutzen? Erst wenn wir bereit sind einen gegenseitigen Nutzen zu gewähren und danach suchen wollen, wird daraus ein gemeinsamer Weg. Gemeinsamkeit passt nicht zu einem Konflikt, der ja Widerspruch und Gegnerschaft ausdrückt. Dass das Eine im Anderen vorkommt ist nun wieder zu philosophisch und erfordert Reflexionen. Eine gemeinsame Suche würde das ungewollte Zugeständnis erfordern, keine Lösung zu kennen und sich nicht gegen den Gegner zu wenden. In der Konfrontation wären das Zeichen der Schwäche wo doch Stärke zu zeigen ist. Erst wenn beide Seiten Schwächen eingestehen können wird die Mediation möglich.
Natürlich braucht man eine Vorstellung davon, wo die Lösung zu suchen ist. Für die hier zu entscheidende Frage können wir unterstellen, dass wir eine Lösung suchen, die von allen akzeptiert wird. Wenigstens von einer Mehrheit der Menschen. Also sollte es eine Lösung sein, die auf Gemeinsamen aufsetzt. Je weiter die Lösung in der Zukunft liegt, umso größer sind die Gemeinsamkeiten und umso übereinstimmender sind die Ziele. Die korrekte und in der Mediation zu stellende Frage wäre also: Was ist unsere gemeinsame Vision? Die Mediation erarbeitet diese Frage in Phase 3 heraus. Im Streit ist die hypothetische Frage kaum zu beantworten. „Ja das geht ja doch nicht“ wissen wir bereits.
Erst wenn es eine Vorstellung von dem gibt, was das Ziel sein kann, können Kriterien festgelegt werden. Das Ziel der EU beispielsweise besteht darin, 50% der Fälle in die Mediation zu überführen. Ein Mediator freut sich aber er fragt auch: Ist das wirklich ein Erfolgskriterium oder eher ein Desaster? Was passiert, wenn 50% der Richter und 50% der Anwälte arbeitslos sind? Die glauben die Mediation ersetzt die Gerichtsverfahren 1:1? Irrtum. Die Mediation wird die Fallzahlen reduzieren, weil sie effizienter ist. Sagen wir um einen Faktor 1:3. Er müsste evaluiert werden. Bisher hat aber noch niemand so weit in die Zukunft gedacht. Der Mensch denkt nur bis zum nächsten Fressen, also setzt er sich ein 50% Ziel. Schon wir mal was dann passiert. So gehen wir auch mit tödlichen Dingen um wie Kriege, Atomenergie warum also nicht auch mit der Mediation? Sie wird schon irgendwie überleben. Für den Mediator ergeben sich die Erfolgskriterien übrigens aus dem Nutzen. Dieser wiederum ergibt sich aus der Beschreibung der heilen Welt in Phase 3!
Ein Mediator denkt und fühlt wie ein Mediator, immer und überall. Das hat Auswirkungen auf das Marketing, die Kultur, das Miteinander, das Angebot und die Konkurrenz, die er als Coepetition erlebt.
Photo by markusspiske (Pixabay)
Music by Sascha Ende www.ende.tv
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