Mediation im Spannungsfeld zwischen Rolle und Authentizität

Einerseits gilt Authentizität als wichtiges Wesensmerkmal eines Mediators und als entscheidend für seinen Erfolg. Auf der anderen Seite nimmt man als MediatorIn eine streng reglementierte Rolle ein: Er/sie soll allparteilich sein, darf keine Ratschläge und Lösungsvorschläge machen, soll den Konflikt und die Kommunikation mit Hilfe diverser Techniken strukturieren und in gewisse Bahnen lenken u.v.m.

Dabei denkt er/sie noch an sein/ihr Phasenmodell und weiß im Idealfall stets, was er/sie wann und warum tut. Dieses Verhalten ist also alles andere als ursprünglich naturgegeben und muss dementsprechend in einer aufwändigen Ausbildung mühsam erlernt und lebenslang weiter geübt und geschult werden. Doch wo bleibt bei all dem die Authentizität?

Im Bereich Mediation ist über dieses Thema bisher noch kaum diskutiert worden, im Bereich Management ist es derzeit brandaktuell. Ein interessantes Interview mit Prof. Dr. Peter Szyszka, Professor für Public Relations an der Universität Wien findet sich hier:

Authentizitaet und Inszenierung.html

Rainer Niermayer entlarvt den „Mythos Authentizität“ in seinem 2008 erschienenen gleichnamigen Buch. Er ist der Meinung, dass Führungskräfte Rollen spielen müssen und schreibt, dass niemand dem Spannungsfeld zwischen Authentizität und Rolle entkommt:

Mythos Authentizitaet.html

Um die Frage zu klären, ob und wie man als MediatorIn authentisch sein kann, ist es nötig, die Begriffe „Rolle“ und „Authentizität“ genauer unter die Lupe zu nehmen. Als Rolle bezeichnet man im Theater in der Regel einen Text (und/oder ein Verhaltensmuster), der einer Figur zugeordnet ist und der von einem Darsteller gestaltet werden soll. Der Ausdruck stammt von der Schriftrolle, die für längere Texte, wie z.B. Reden, von der Antike bis in die Neuzeit hinein gebräuchlich war. Texte für Schauspieler waren gleichfalls in Rollenform notiert. Dabei bekam jeder Schauspieler jeweils nur seine eigene Rolle ausgehändigt, um das Stück urheberrechtlich zu schützen.

[1] Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff von der Soziologie und Sozialpsychologie auf Alltagsphänomene übertragen. Die soziale Rolle stellt die Gesamtheit der einem gegebenen Status zugeschriebenen kulturellen Modelle dar. Jeder soziale Akteur muss sich den Anforderungen dieser vom sozialen System abhängigen Erwartungen, Werte und Handlungsmuster stellen. Dazu kommt noch die Tatsache, dass jeder Mensch mehrere Status zugewiesen bekommt und dementsprechend auch mehrere Rollen einnimmt, die untereinander durchaus in Konflikt treten können. In der Rollentheorie wird untersucht, welche Freiräume dem Individuum innerhalb seiner sozialen Rollen offen stehen und wie gesellschaftlich vorgegebene Rollen erlernt, verinnerlicht, ausgefüllt und modifiziert werden. Das Ausmaß individueller Ausgestaltungsmöglichkeiten innerhalb sozialer Rollen wird in der Forschung kontrovers diskutiert.[2] Inwieweit die Mediation hier Raum bietet, ist nach meinem Wissensstand bisher noch nicht untersucht worden.

Der Begriff der Authentizität spielt sich vor dem Hintergrund eines Gegensatzes von Schein und Sein als Möglichkeit zu Täuschung und Fälschung ab. Als authentisch gilt menschliches Handeln dann, wenn der unmittelbar wahrgenommene Schein und das eigentliche Sein als übereinstimmend empfunden werden. Angewendet auf Personen bedeutet Authentizität, dass das Handeln einer Person nicht durch äußere Einflüsse bestimmt wird, sondern in der Person selbst begründet liegt. Eine als authentisch bezeichnete Person wird als real, unverbogen und ungekünstelt wahrgenommen. Interessanterweise muss es sich dabei nicht um die tatsächlichen Eigenschaften der betrachteten Person handeln. Auch Zuschreibungen von Betrachtern können den Eindruck der Authentizität verursachen, d.h. Authentizität ist inszenierbar. Um sich selbst als authentisch wahrzunehmen, müssen laut Michael Kernis und Brian Goldman vier Kriterien erfüllt sein: Bewusstsein, Konsequenz, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Bewusstsein meint, dass man seine Stärken und Schwächen, aber auch seine Gefühle und Motive für bestimmte Verhaltensweisen kennt. Konsequenz heißt, dass man nach seinen Werten handelt, auch wenn man dafür Nachteile in Kauf nehmen muss. Unter Ehrlichkeit verstehen Kernis und Goldman, dass man der realen Umgebung ins Auge blickt und auch unangenehme Rückmeldungen akzeptiert, unter Aufrichtigkeit, dass man seine negativen Seiten nicht verleugnet.[3]

Es gibt also einige Aspekte der Authentizität, die einem Rollenverhalten widersprechen. Während die Rolle eine Zuweisung kultureller Modelle von außen darstellt, fordert die Authentizität, dass das Handeln nicht von äußeren Umständen bestimmt wird. Was heißt das für den Mediator? Eine bloß inszenierte Authentizität kann auf Dauer nicht gewollt sein.

Die vier Kriterien nach Kernis und Goldman bieten eine Hilfestellung, wie man sich als Mediator selbst authentisch fühlen kann. Bewusstheit für die eigenen Grenzen und Möglichkeiten sowie über die Motive des eigenen Handelns ist für eine erfolgreiche Mediation unabdingbar. Ebenso sieht es mit der Konsequenz aus, denn die Werte, die man als Mediator konsequent verfolgt, entsprechen den Prinzipien der Mediation, z.B. Eigenverantwortlichkeit der Parteien, Freiwilligkeit, Vertraulichkeit, Offenheit und Allparteilichkeit. Wenn man unter Ehrlichkeit nicht versteht, dass man jederzeit alles sagt, was man denkt, sondern die Tatsache, einen realistischen Blick auf die Medianden zu werfen und alles so zu akzeptieren, wie es sich darstellt, ist auch dieser Punkt mit der Rolle des Mediators voll zu vereinbaren. Ebenso sieht es mit der Aufrichtigkeit aus, als MediatorIn kann man offen zeigen, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen.

Das Fazit dieser ersten Gedanken zum Spannungsfeld zwischen Rolle und  Authentizität in der Mediation lautet also folgendermaßen: Versteht man unter Authentizität ein Handeln, das ohne Einfluss von außen intrinsisch motiviert ist, lässt sie sich mit Mediation kaum vereinbaren. Begreift man Authentizität jedoch als ein Gefühl für sich selbst, das auf Bewusstheit, Konsequenz, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit beruht, bietet die Mediation dem Individuum genügend Spielraum, um seine/ihre Rolle als MediatorIn auf befriedigende Weise einzunehmen und sich selbst darin als authentisch zu erleben. Über eine weiterführende Diskussion dieses Themas würde ich mich sehr freuen.


[1] Quelle: Wikipedia 2012, http://de.wikipedia.org/wiki/Rolle_(Theater)[2] Quelle: Wikipedia 2012, http://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Rolle[3] Quelle: Wikipedia 2012, http://de.wikipedia.org/wiki/Authentizit%C3%A4t