Zwischen Ausbildungsstunden und Marktentwicklung.
Der Beitrag auf dem KM-Kongress zur Qualitätsdiskussion
Vor dem Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens ist die Diskussion über Ausbildungsstunden neu entfacht. Dabei kann es jedoch nicht (nur) um die Qualität der Mediation gehen. Ginge es wirklich um die Frage der Qualität und um die Verwirklichung einer verbesserten Streitkultur, dann müssten die Diskussionen anders geführt werden und zwar nicht nur inhaltlich sondern auch hinsichtlich ihrer Art und Weise.
Nachdem die Ausbildungsstunden zum scheinbar wichtigsten Kriterium der Ausbildung hochstilisiert wurden, meinen die Österreicher konsequent und folgerichtig, dass sie die besten Mediatoren in Europa seien. Sie nehmen für sich in Anspruch, die längste Ausbildung vorgeschrieben zu haben. Und sie sind stolz darauf. Ich selbst bin einer der Trainer in einem Österreichischen Ausbildungsinstitut für Mediatoren. Selbstverständlich ist diese Ausbildung akkreditiert und anerkannt. Dort bin ich – zeitlich gesehen – einer der letzten Trainer. Die Teilnehmer haben also schon 200 Trainingsstunden hinter sich gebracht. Letztens wurde ich von einer dieser Teilnehmerinnen gefragt: „Warum dürfen sich Medianden eigentlich nicht auf’s Sofa setzen?“. Ich weiß nicht, wie diese Frage bei Ihnen ankommt. Ich war amüsiert. Natürlich hatte ich eine Idee, was das Problem sein kann. Aber eine Regel, wohin man sich setzen darf oder nicht, die möchte ich nicht kennen müssen. Deshalb fragte ich die Teilnehmerin nach dem Grund ihrer merkwürdigen Frage. Sie antwortete: „Das hat uns der Trainer im letzten Modul so erklärt!“ Ich denke nicht, dass es hier, vor einem Fachpublikum, notwendig ist, die Hintergründe einer Sitzunordnung zu erläutern. Ich kann Ihnen aber sagen, dass die Teilnehmerin gut beraten war, eine derartig dumme Regel zu ignorieren. Dort erschien nämlich ein Ehepaar zur Trennungsmediation. Beide Medianden setzten sich sofort nebeneinander auf das Sofa. Stellen Sie sich vor, die Mediatorin hätte ihnen gesagt: „Sie dürfen sich hier nicht hinsetzen …“
Auch in Deutschland neigen Mediatoren dazu, ihre Kompetenz allein über die Zahl der Ausbildungsstunden zu belegen. Andere versuchen, ihre Kompetenz von dem zertifizierenden Verband abzuleiten. Beides ist jedoch kein Kriterium für Qualität. Ein weiteres Beispiel mag dies belegen: Vor einiger Zeit telefonierte ich mit der Ausbilderin eines der, von den Verbänden anerkannten, Institute. Es war zu der Zeit, als die Diskussionen über Stuttgart 21 aufkamen. Sie sagte, Stuttgart 21 sei keine Mediation. Obwohl ich dieser Einschätzung im Grunde zustimmte, fragte ich sie, warum es denn ihrer Meinung nach keine Mediation sei. Sie wusste nur zu sagen: „Weil das Verfahren öffentlich ist!“ Ich fragte sie daraufhin: „Was ist denn, wenn meine Medianden damit einverstanden sind, die Mediation live im Fernsehen zu übertragen und auf Vertraulichkeit verzichten, ist das dann keine Mediation mehr?“ „Oh“, sagte sie, „darüber habe ich noch nie nachgedacht!“
Die Beispiele ließen sich erweitern. Sie erscheinen mir symptomatisch. Die Mediation ist dabei, sich von dem zu entfernen, was wir uns damals erhofft hatten. Sie wird mehr und mehr dogmatisiert und in stereotype Regeln übersetzt. Man versucht, die Mediation zu labeln. Die Zugehörigkeit des Mediators und sein Ausbildungsumfang werden in den Vordergrund gestellt, nicht etwa seine Kompetenz. In der Praxis ergeben sich Irritationen. Ist der Mediator beim „X-Verband“ stellt er seinen außergewöhnlichen Fall stolz als eine besonders gut gelungene Mediation dar. Hat er keine oder die „falsche“ Ausbildung absolviert, dann wird er zu hören bekommen, dass derselbe Fall gar keine Mediation gewesen sei. Überall begegnen mir Vorurteile, nicht zu Ende geführte Gedanken, falsche Mythen und Glaubenssätze. Man könnte meinen, dass auch 200 Stunden Ausbildung noch zu wenig sind. Aber ist die in einer Ausbildung zu absolvierende Stundenzahl wirklich so ausschlaggebend?
Um eine Qualität definieren zu können, müssen wir wissen, worauf sich die Qualität überhaupt bezieht. Der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen „qualitas“ ab. Er bedeutet Beschaffenheit, Merkmal, Eigenschaft. Die Qualität beschreibt einerseits die Summe aller Eigenschaften eines Angebotes und bewertet andererseits seine Güte. Gemessen daran beschreiben weder der Preis noch die Dauer der Ausbildung oder der Name des Ausstellers eine irgendwie geartete Qualität. Um die Qualität zu beschreiben, müsste man sich auf die handwerklichen Aspekte einlassen. Kriterien für die Qualität sind dann beispielsweise:
- Die Fähigkeit zur Bildung und Anpassung von Hypothesen und ihre Verifikation bei der Umsetzung innerhalb der Konfliktanalyse.
- Der Grad der Offenlegung und Gestaltung der Verfahrensoptionen.
- Die auf die Dynamik des Konfliktes sowie auf die äußeren Verfahrensbedingungen abstellende Planung des Verfahrens- bzw. der Verfahrensweise und des Kommunikationsdesigns.
- Die aufeinander bezogene Verwirklichung der Phasenlogik.
- Die Verwirklichung der Prinzipien.
- Die methodisch kontrollierte und zielgerichtete Umsetzung der Interventionen.
- Die Einbeziehung äußerer und systemischer Bedingungen.
- Die Realisierung einer sich auf die Medianden einlassenden Interaktionsfähigkeit.
- Der Umgang mit dem Zeitmanagement.
- Die Verfügbarkeit von Kapazitäten und Ressourcen.
- Die Durchführung von Qualitätskontrollen.
Die Ausbildung ist sicherlich eine Voraussetzung dafür, dass der Mediator die erforderlichen Kapazitäten und Ressourcen vorhalten kann. Trotzdem gibt die Zahl der Ausbildungsstunden keinen Hinweis darauf, ob der Ausgebildete diesen Qualitätsmaßstab tatsächlich erfüllt oder nicht. Die isolierte Diskussion über die Ausbildungsstunden lenkt deshalb sogar eher von diesen Fragen ab. Sie beschreibt ein Volumen, keine Qualität. Zusammen mit den Standards beschreibt sie einen Mindestinhalt, den jeder Mediator kennen und beherrschen sollte. Die Stundenzahl ist nicht mehr als ein Indiz. Sie ist kein Kriterium für die Qualität einer Ausbildung und erst recht keines für die Qualität des Mediators. Kriterien für eine qualifizierte Ausbildung sind:
- Die Vollständigkeit und Gewichtung des Curriculums.
- Die Ausbildungsdauer in Relation zur Teilnehmerzahl.
- Die Konsistenz des Trainings.
- Die aufeinander bezogene Abstimmung von Trainern, Materialien und Literatur.
- Die Transparenz der didaktischen Methodik.
- Das Lernklima.
- Die permanente Begleitung des Studenten und organisatorische Unterstützung
- Die Unterstützung außerhalb des Trainings (Peergroup, Supervision)
- Die Möglichkeit zur Vernetzung der Alumi
- Die Trainerpersönlichkeiten und insbesondere deren Kompetenz und Erfahrung
- Die methodische Sicherstellung der Interdisziplinarität
- Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Mediationsweisen
- Das professionelle Umfeld.
Es ist schon wichtig, dass man sich über die Ausbildung verständigt und Standards einführt. Die Verständigung sollte dazu beitragen, Orientierung zu geben und zu klären, was Mediation ist. Ich bezweifle noch immer, ob man sich darüber wirklich im Klaren ist. Allerdings gilt die Frage, was Mediation ist, heute als unprofessionell. Tatsächlich mag man das im Entwurf vorliegende Mediationsgesetz zu Rate ziehen. Danach ist die Mediation ein Verfahren. In den Händen der Juristen, wird so ein Verfahren natürlich an juristischen Maßstäben gemessen. Das kann man aber auch anders sehen, besonders dann, wenn wir das Verfahren auch im psychologischen Verständnis definieren und als einen in Stationen abzuwickelnden Erkenntnisprozess auffassen. Die Mediation beschreibt diesen Erkenntnisprozess in genialer Weise. Sie offenbart das Konfliktgeschehen aus einer interdisziplinären Sicht. Sie definiert alle erforderlichen Wirkmechanismen, welche zerstrittene Parteien zu einer konsensualen Lösung führen können. Das Gesetz schafft diese Klarheit nicht. Das Gegenteil ist der Fall! Es regelt – abgesehen von der Frage der Gerichtsmediation – was eh’ schon erlaubt ist. So ein Gesetz braucht man nicht wirklich in einem Rechtsstaat. Es ist ein politisches Gesetz. Für mich gehört – wenn es denn überhaupt ein Gesetz geben muss – die Mediation ins BGB, da wo Alle etwas davon haben und wo sich die vertraglichen Inhalte bis hin zu Haftungsfragen am besten regeln lassen. Darin sähe ich eine qualitätsbildende Maßnahme. Die Ausbildung wäre die logische Konsequenz daraus. Da, wo eine Haftung geregelt ist, wird man sich bemühen, den Haftungsfall zu vermeiden. Die Qualifikation über eine Ausbildung wäre die Konsequenz, nicht die conditio sine qua non.
Es ist noch nicht lange her, da war ich in einem Ausschuss, der die Qualitätsmerkmale der Mediation festzulegen hatte. Obwohl man sich auch dort von der scheinbar längst geklärten Frage genervt fühlte, was die Mediation sei, war ich angenehm überrascht, als in dem Moment, wo es um handwerkliche Fragen ging, die unbeliebte Frage wie von selbst aufkam: „Was ist denn jetzt eigentlich Mediation? Ist es ein Verfahren, eine Methode, eine Kompetenz oder gar eine Wissenschaft?“ so lautete die an die Runde gerichtete Frage. Und sie kam nicht von mir. Jetzt war ich derjenige, der (zugegebenermaßen etwas sarkastisch) antworte: „Schaut mal ins Gesetz, es ist ein Verfahren!“ Tatsächlich denke ich, die Mediation ist alles von dem. Sie ist die Beschreibung eines kognitiven Prozesses, eines kommunikativen Prozesses, eines strategischen Prozesses, die Beschreibung eines Rahmens, in dem der Prozess abläuft, die erstmalige, interdisziplinäre Zusammenfassung eines Wissens über die Beilegung von Konflikten und nicht zuletzt die Beschreibung einer Haltung, die den Prozess – wo auch immer er stattfinden mag – ermöglicht. Folgen wir dagegen der gesetzlichen Definition, ist die Mediation nicht mehr als nur eine Alternative zum Gerichtsverfahren. Darin sehe nicht nur ich eine bedauernswerte Degradierung. Viele Mediatoren beginnen schon zu differenzieren zwischen der forensischen, also der gesetzlich geregelten, und der gerichtsfernen Mediation. Ihre Differenzierung ist natürlich nicht juristisch fundiert. Sie drückt aber ein Bedürfnis aus, das in den „offiziellen“ Diskussionen untergeht. Sie beweist, dass die Pioniere der Mediation mit Visionen angetreten waren, auf denen es der zweiten Generation der Mediatoren anscheinend nicht mehr ankommt.
Da sind viele Dinge, die nicht zusammenpassen. Trotzdem werden die Parolen hoch gehalten. Angeblich soll die Mediation dazu beitragen, die Streitkultur zu verbessern. Ich frage mich nur, wie kann es einem Produkt gelingen, die Kultur zu verändern? Ein Produkt verändert keine Kultur. Microsoft vielleicht – aber das war ein Massenprodukt. Die Mediation wäre dagegen ein sogenanntes low interest product. Sie beschreibt nicht mehr als eine Dienstleistung, die sich ausdrücklich und alternativ neben die bestehenden Dienstleistungen stellt. Sie erhebt deshalb gerade nicht den Anspruch die schlecht geredeten Dienstleistungen zu verändern. Das Gerichtsverfahren bleibt wie es ist. Die anwaltliche Beratung offensichtlich auch. Manchmal begegnen mir Schreiben von Rechtsanwälten, die auch Mediatoren sind. Diese Schreiben lassen vermuten, dass der Rechtsanwalt und Mediator trotz seiner 200 stündigen Ausbildung niemals gelernt hat, was eine mediative Kommunikation bedeutet. Aber wahrscheinlich passt sein Verhalten sogar in das Bild der Mediation, wenigstens im gesetzlichen Verständnis. Wahrscheinlich hat er auch gelernt, dass das Eine mit dem Anderen nichts zu tun hat. Solche Lehren verändern keine Kultur. Sie manifestieren sie stattdessen.
Die Diskussionen anlässlich des Gesetzes sind gut und wichtig. Allerdings fördern sie die Mediation nicht, wenn sie mit Ausgrenzungen und Abwertungen verbunden werden. Solche Diskussionen passen auch gar nicht zur Mediation. Die Mediation selbst ist völlig wertfrei. Konsequenter Weise ist sie es auch, wenn es um sie selbst geht. Es hilft ihr also nicht, wenn kooperative Ansätze mit dem Vermerk „Das ist keine Mediation“ geringschätzt werden, oder wenn kompetente Konfliktklärer abgetan werden. Einmal hörte ich auf einer Konferenz eine zur Mediation konvertierte Richterin sagen: „Und stellen Sie sich vor, da gehen die Richter hin, ziehen ihre Robe aus und setzen sich mit den Parteien an einen Tisch. So etwas müsste verboten werden!“. Wenn es wirklich darauf ankäme, die Streitkultur zu verbessern, sollte man es doch begrüßen und wertschätzen, wenn Menschen versuchen, kooperative Wege zu beschreiten. Die Kooperationsbereitschaft ist es, die den Weg zu einem Umdenken bereitet. Restriktionen schränken diese Bereitschaft eher ein, als dass sie dazu ermutigen. Es ist schon paradox wenn man bedenkt, dass es keinerlei Zertifikate bedarf, um einen Krieg zu führen. Einen Krieg trauen wir Jedem zu. Bezüglich der Fähigkeit, Frieden zu stiften, sind wir misstrauisch. Hier bedarf es einer besonderen Befähigung. Wir wollen ja nicht, dass der Frieden am Ende gar nicht wirklich ein Frieden ist.
Die Mediation wird gerne als friedensstiftend dargestellt. Dabei wird übersehen, dass sie nur beschreibt, wie dieser Weg zu begehen ist. Sie ist demnach eine Folge des Wunsches nach Frieden. Sie ist – und sollte auch nicht – seine Bedingung sein. Es mag in Kauf genommen werden, dass Anfänger dazu beitragen, das Bild der Mediation zu verwässern. Tatsächlich – und wie eingangs dargelegt – tragen aber auch die Fortgeschrittenen zur Verwirrung bei. Eine Beeinträchtigung der Qualität sehe ich darin jedoch nicht. Wenigstens nicht wenn und solange es transparent gemacht wird, was die Qualifikation einer professionellen Mediation in ihrer Vielfalt ausmacht. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Wenn wir genauer hinschauen, dann erkennen wir sogar, dass die angeblich zur Verwässerung beitragende Vielfalt gerade ein Wesensmerkmal der Mediation ist. Besonders die Praktiker erkennen, dass die Grenzen der Verfahren fließend sind. Das gleiche gilt für die international agierenden Mediatoren. Sobald wir die Ansätze in anderen Ländern einbeziehen, wird diese Vielfalt umso deutlicher. Dort entwickelt sich die Mediation auch – vielleicht sogar besonders dort – wo nur eine 40 stündige Ausbildung vorgesehen ist. Der Markt wird nicht gefährdet. Wenigstens nicht, wenn man ihn als Herausforderung versteht. Jack Himmelstein kommentierte das Problem der Qualitätsunterschiede einmal gelassen mit dem Hinweis: „Mac Donalds ist auch ein Restaurant!“ Wir wissen längst, dass Mediation nicht gleich Mediation ist. Da gibt es transformative, evaluative und facilitative Ausrichtungen, um nur einige zu benennen. Alle diese Leitbilder erfüllen unterschiedliche Voraussetzungen und führen zu qualitativ unterschiedlichen Ergebnissen.
Was die Marktentwicklung anbelangt, so frage ich mich, ob es der Mediation gelingen kann, eine eigene Branche darzustellen. Aktuell herrscht der Trend vor, dass sie sich eher von den Branchen einbeziehen lässt. Sie präsentiert sich dort als ein Aliud zur angestammten Dienstleistung. Einen Markt gibt es noch nicht, nicht für Alle. Jemand sagte einmal: „Es gibt viele Skilehrer aber wenig Schnee“. Er warnte auch davor, dass die Mediation ein Schneeballsystem werden könnte, das sich an sich selbst verkauft.
Ich selbst sehe die Entwicklung gar nicht so negativ. Viele Teilnehmer in unseren Kursen wollen beispielsweise gar keine professionellen Mediatoren werden. Sie wollen lernen, besser mit eigenen Konflikten und denen der anderen umzugehen. Das ist ein Bedürfnis der Menschen, die es leid sind, sich den ewigen, unsinnigen und nervigen Streitereien auszusetzen. Betrachten Sie nur einmal die Nachrichten mit den Augen eines Mediators. Sie werden staunen, wie viel verbale Gewalt und Verurteilung dort vorkommt. Wie viele nicht nachprüfbare Interpretationen und Behauptungen aufgestellt werden und wie vehement um Meinungen gestritten wird, obwohl der Anteil an verlässlichen Fakten erschreckend gering ist. Sie werden erschreckt sein, wie groß der Anteil an Wertungen ist und wie groß der korrespondierende Anteil an Abwertungen ist, obwohl diese Bewertungen weder hinterfragt noch mit nachvollziehbaren Fakten belegt werden. Das Denken der Mediation könnte darüber hinweghelfen. Dadurch könnte sich die Streitkultur verändern. Dann müsste aber ihre Kompetenz erkannt, geschätzt und verstanden werden und nicht an der Frage festgemacht werden, wer wo und wie lange ausgebildet wurde. Unsere Kursteilnehmer jedenfalls fühlen sich entlastet, wenn sie verstanden haben, dass man nicht immer auf Bewertungen und Lösungen schauen muss und die Welt trotzdem funktioniert – besser sogar. Solche Gedanken bilden den Kerninhalt der Mediation. Sie treffen die Kultur und die Art und Weise, wie wir mit uns und der Umwelt umgehen. Sie gehen über eine Dienstleistung hinaus. Wenn es also wirklich darum gehen soll, die Streitkultur zu verbessern, dann wären Korrekturen dringend notwendig. In einem unserer Kongresse hatten wir herausgearbeitet, dass die Mediation ein Kulturgut werden sollte. Erst dann und nur dann hat sie eine Chance, unser Denken zu verändern. Eine solche Strategie schließt ihre Vermarktung übrigens nicht aus. Das Gegenteil ist der Fall, denn die Nachfrage erhält einen Boden. Die Menschen werden ihren Bedarf an Mediation (besser) verstehen und sie nachfragen, ohne dass man sie dazu zwingen oder trickreich überreden muss. Aktuell ist zweifellos festzustellen, dass die Nachfrage nach Mediation steigt. Noch vor nicht allzu langer Zeit haben wir innerbetriebliche Mediationen als „Teamoptimierung“ verkauft, um ja das Wort Mediation zu vermeiden. Heute ist es umgekehrt. Die Mediation wird nachgefragt, auch wenn eigentlich eine Moderation geschuldet sein soll.
Wenn ein Unternehmen ein neues Produkt auf den Markt bringt, dann geht es nach dem Try and Error Prinzip vor. Es versucht, den Bedarf des Kunden zu eruieren, macht Markt- und SWOT Analysen, Businesspläne und testet die Kundenkommunikation, indem es das Produkt in unterschiedliche Zielgruppen einführt und unterschiedlich gestaltet. Bemerkt das Unternehmen, dass das Produkt nicht so nachgefragt wird, wie erwartet, setzt es sich mit den Kundenbedarfen – wohl gemerkt nicht mit den Bedürfnissen – auseinander. Es achtet seine Konkurrenten, um von ihnen zu lernen, und orientiert sich am Ergebnis. Woran orientieren sich die Mediatoren?
Was ist also zu tun, damit sich ein Markt für die Mediation entwickeln kann?
- Wertschätzung der Kooperation an sich als Stärke statt als ein Zeichen der Schwäche und Nachgiebigkeit. (Die Kooperation ist gegenüber der Konfrontation im Nachteil, wenn sie im Gegensatz zu dieser an eine Qualifikation gebunden wird).
- Schaffung eines Forums, wo sich ALLE Mediatoren austauschen können und wollen (Ein solches Forum gibt es bezeichnender Weise noch nicht).
- Den Markt beobachten und den Kunden stärker einbeziehen (bisher wird das Produkt ausschließlich von Profis über die Köpfe der Kunden hinweg gestaltet).
- Die Produkte an die Dynamik des Konfliktes anpassen und nicht umgekehrt (fit the form to the fuss).
- Transparenz über Qualitätsmerkmale herstellen (statt über Ausbildungsvolumina).
- Bürgerbildung über Wahrnehmung, Kommunikation und den Umgang mit Konflikten intensivieren (Mediation als Kulturgut. Dies wird dem Bürger helfen, den Bedarf für diese Form der Konfliktbeilegung selbst zu erkennen).
- Erfahrungen vermitteln (Es gibt leider und noch immer keine Vorbilder in der Mediation). Dazu gehört es, das eigene Verhalten zu ändern. Das mediative Denken muss sich nicht auf die Sitzung einer Mediation beschränken.
- Motivieren und Anreize schaffen (Statt über Zwang und Verbote nachzudenken).
- Den Weg in die Kooperation erleichtern. Damit korrespondiert die Strategie, den Weg in die Konfrontation zu erschweren.
- Produktwerbung statt Gesetze.
Eine bessere Welt schafft man nicht, indem man die Methoden der Welt verwendet, die man verbessern will.
Hinterlasse einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar schreiben zu können.