Mit der neuen Zivilprozessordnung (ZPO) per 01. Januar 2011 wurde insbesondere die gerichtsnahe Mediation in der Schweiz eingeführt (https://www.in-mediation.eu/mediationsverfahren-in-der-schweiz) .
Anlässlich eines Besuches an einem Regionalgericht im Kanton Bern frage ich einen Gerichtspräsidenten und Vorsitzenden der Geschäftsleitung des Regionalgerichts, welche Rolle die Mediation am Gericht seit Einführung der neuen ZPO spielt.
Seine Beurteilung: „Etwa 60% meiner Tätigkeit als Richter in zivilrechtlichen Angelegenheiten, insbesondere im Familienrecht, ist Mediation. Dazu gehört gesunder Menschenverstand und es braucht keine Delegation an einen externen Mediator“.
Integrierte Mediation in ihrer ursprünglichen Definition als Selbstverständlichkeit aktiv gelebt am Regionalgericht in der Schweiz!
Ob gesunder Menschenverstand ausreicht, um mediativ zu arbeiten ist meines Erachtens fraglich.
Meinem bisherigen Erleben der gerichtlichen Praxis ist dies nicht genügend. Die Aussage wirkt auf mich als eine Absage an die außergerichtlche Mediation.
Ich selbst meine aber, dass ein Gerichtsverfahren mediativ geführt werden kann, es jedoch nicht mit einer außergerichtlichen Verfahrensweise verglichen werden kann.
Der Richter kann niemals seine Entscheidungsgewalt, und auch die Pflicht zur Sachentscheidung, verleugnen.
Wo liegt dann neben dem gegenseitigen Verständnis der Parteien die erforderliche Eigenverantwortlichkeit für den notwendigen Erkennnis- und Lösungsprozess?
Mit gesundem Menschenverstand war nicht gemeint, dass man den benötigt, um zwischen den Parteien Kompromisse zu erzielen, sondern dass es gesunden Menschenverstand braucht, um mediative Aspekte in das Gerichtsverfahren mit einzubeziehen. Das Ergebnis ist dann ein Konsens. Ein weiser Richter.
Das ist toll, wenn die Vergleiche einen Konsens darstellen und nicht nur einen Kompromiss 🙂
Leider muss ich befürchten, dass es sich bei der wiedergegebenen Aussage, wie fast immer auch bei uns, um Kompromisse handelt. Dafür spricht die Aussage, dass für die Mediation letztendlich gesunder Menschenverstand ausreicht. Der Richter wird ja wohl nicht den gesunden Menschenverstand der Parteien gemeint haben, sondern seinen eigenen. Zumindest macht die Aussage den Eindruck, als wenn der gesunde Menschenverstand des Richters auch einen solchen bei den Parteien bewirkt. Dann hätte er seinen gesunden Menschenverstand vermittelt, also eine Bewertung aus seiner Sicht. Ob die Parteien dadurch einander besser verstehen?