Paradoxien in einem paradoxen Verfahren und einer paradoxen Welt,
die eigentlich gar nicht paradox ist.
Paradoxien spielen in der Mediation eine ganz wichtige Rolle. Besonders die rhetorischen Paradoxa tragen dazu bei, eine tiefergehende Erkenntnis (Wahrheit) durch einen Widerspruch deutlich zu machen, indem der Widerspruch drastisch dargestellt wird. Paradoxien passen zur Mediation, ist doch die Mediation selbst ein Paradoxon: Je unlösbarer das Problem, desto besser lässt es sich meditieren! Oder: „Sie haben recht, die Gegenseite auch“. Das würde ein Mediator zwar so nicht sagen. Er würde es aber begreiflich machen wollen.
Besonders die integrierte Mediation, die sich mit dem durch die Mediation beschriebenen Kognitionsprozess beschäftigt, weiß, dass die Mediation das Verfahren ist, das mit Widersprüchen umgehen kann. Paradoxien sind Widersprüche. Was liegt näher, als sie in der Mediation aufzudecken und Paradoxien aktiv einzubringen? Gemeinsam – so die Ausführungen bei Wikipedia – ist allen Paradoxa der Widerspruch zwischen dem Behaupteten einerseits und den Erwartungen und Beurteilungen andererseits. Besonders spannend in der Mediation sind die scheinbaren Widersprüche. Das sind Widersprüche, die sich durch genauere Analyse vollständig auflösen lassen. Sie belegen wahre Aussagen, die sich beim näheren Hinsehen als Erkenntnisfortschritte erweisen.
Beispiele:
- Ich habe keine Zeit, mich zu beeilen.
- Ich bin zu erregt zum streiten.
- Wenn alle Stricke reißen, dann hänge ich mich auf.
- Der Beweisantrag ist ein Angriffsmittel.
- Wie man auch anfängt, man hat bereits begonnen.
Wunderschöne Beispiele für Paradoxien finden sich wieder bei Wikipedia, wo eine Sequenz aus dem Monty-Python-Film Das Leben des Brian wie folgt zitiert wird:
- Brian: Ihr habt das ganz falsch verstanden. Ihr braucht mir nicht zu folgen. Ihr braucht niemandem zu folgen! Ihr müsst selber denken! Ihr seid lauter Individuen.
Die Menge (einstimmig): Ja, wir sind lauter Individuen!
Brian: Ihr seid alle verschieden.
Die Menge (einstimmig): Ja, wir sind alle verschieden!
Worauf aus der Menge eine einzelne Stimme sagt: Ich nicht.
Oder die Sequenz aus dem Roman ‚Per Anhalter durch die Galaxis‚ von Douglas Adams:
- „Ich weigere mich zu beweisen, dass ich existiere“ sagt Gott, „Denn ein Beweis ist gegen den Glauben, und ohne Glauben bin ich nichts.“ „Aber,“ sagt der Mensch, „der Babelfisch ist doch eine unbewusste Offenbarung, nicht wahr? Er hätte sich nicht zufällig entwickeln können. Er beweist, dass es dich gibt, und darum gibt es dich, deiner eigenen Argumente zufolge, nicht. Quod erat demonstrandum.“ „Ach du lieber Gott“ sagt Gott, „daran habe ich nicht gedacht“ und löste sich prompt in ein Logikwölkchen auf. „Na, das war ja einfach“ sagt der Mensch, und beweist, weil’s gerade so schön war, dass Schwarz gleich Weiß ist und kommt wenig später auf einem Zebrastreifen ums Leben.
Aufschlussreich und für den, der das Thema vertiefen will, sind die Ausführungen von Enrico Mahler, „Die Form der Paradoxie, Logische und andere Noten über eine Weise der Kommunikation„. Er führt beispielsweise aus, „daß Kommunikation nicht paradox sein kann. In der Kommunikation, genauer gesagt, auf ihrer Oberfläche, in Gesprächen oder an Forderungen können Paradoxien erscheinen, sie können sich in Texten tummeln oder in den Werken wimmeln, sie können formuliert und verstanden werden, aber die Kommunikation kann nicht selbst die Form sogenannter paradoxer Kommunikation annehmen, denn die Axiome jener Logik, die ein Paradox entstehen läßt, gelten nicht für Kommunikation.“ Somit ist das Paradoxon ein rein denklogisches Instrument. Es zeigt Grenzen auf und führt Bewertungen ad absurdum. Auch sehr zu empfehlen sind die Ausführungen von Prof. Dr. Martin Seel, „Paradoxien der Verständigung – 17 Stichworte„. Er meint, „… mit Paradoxien ist es so eine Sache. Sie entspringen unseren Verständnissen über die Welt und uns selbst, sie zeigen sich in der Verständigung über diese und entfalten im Nachdenken über die Reichweite und Grenzen der Kommunikation manchmal einen besonderen Charme.“ Er zitiert Humboldts Überlegungen zur Bestimmtheit der menschlichen Rede – ihre Verständlichkeit und Bedeutsamkeit. Sie ist von Kontexten der Unbestimmtheit getragen, wobei die Unbestimmtheit nicht als ein Mangel, sondern vielmehr als ein Wahrzeichen der Kommunikation verstanden wird. Diese Dialektik von Bestimmtheit und Unbestimmtheit wird durch drei Paradoxien erläutert:
- Wer spricht, weiß nicht, mit wem er spricht.
- Gelingende Kommunikation nimmt einen unbeabsichtigten Verlauf.
- Das Ziel der Verständigung ist erreicht, wenn sie ihr Ziel verfehlt.
Den Begriff der gelingenden Kommunikation verwendet der Gesetzgeber übrigens auch in der Begründung zum Mediationsgesetz – aber er hat sich wohl etwas anderes darunter vorgestellt :-D. Ein weiteres Paradoxon der Mediation, denn der Gesetzgeber hat alles andere als einen unbeabsichtigten Verlauf der mediativen Kommunikation im Sinn und seine Vorstellung vom Gelingen ist auch nicht die Zielverfehlung.
Fast schon wie ein Höhepunkt der Befassung mit Paradoxien in der Mediation ist die Arbeit von Felix Lau, „Die Form der Paradoxie„. Er befasst sich mit der „Laws of Form“ von G. Spencer, die auch Luhman inspirierte und zur Grundlage seiner Erkenntnis wurde. Luhmann führt aus: „… die am tiefsten eingreifende, für das Verständnis des Folgenden unentbehrliche Umstellung (liegt) darin, dass nicht mehr von Objekten die Rede ist, sondern von Unterscheidungen.“ Die Unterscheidung als Ausdrucksform des Widerspruchs beschreibt die Paradoxie, dass der Unterscheidende selbst ein Teil der Unterscheidung ist. Mediatoren kennen dies aus der Lehre vom radikalen Konstruktivismus und der daraus folgenden Beeinflussung des Verstehens. Lau führt aus: „Dabei werden Unterscheidungen nicht als Unterschiede im Sinne von vorhandenen Sachverhalten begriffen, sondern als Aufforderungen, sie zu treffen, weil wir andernfalls nichts anzeigen könnten, also nichts zu beobachten hätten. Im Vordergrund des Begriffes der Unterscheidung steht nicht dessen Sortierleistung, sondern seine Konstruktionsleistung: jede Unterscheidung ist deshalb erkennbar, weil sie von jemandem (einem Beobachter) getroffen wird, und nicht, weil die Welt sie bereitstellt. Die Welt enthält keine Unterschiede.“
Ist die Welt selbst ein Paradoxon?
Unterschiedlichkeit und Unterscheidungsfähigkeit jedenfalls ist ein menschliches Phänomen. Ein Bedürfnis, das der Mensch aus der Überlebensevolution entwickelt hat und leider, obwohl eigentlich nicht mehr überlebensnotwendig, noch immer bis hin zum Töten treibt – möglicherweise auch nur um dadurch die Überlebensfrage als Frage aufrecht zu erhalten. Eigentlich bedarf es der Frage des Überlebens nicht mehr. Überleben ließe sich wenigstens in den biologischen Grenzen herstellen und unterstellen. Leider müssen wir dafür die Frage des Lebens beantworten können. Es scheint so, als sei diese nur über die Frage des Überlebens zu beantworten.
Ohne zu unterscheiden weiß man nicht wer Freund oder Feind ist. Eine falsche Einschätzung konnte vor 10.000 Jahren tödlich sein. Das Gefühl des Überlebens möchte der Mensch so leicht wohl nicht hergeben müssen. Was wäre das Leben auch wert, wenn es nicht ums Überleben geht?
Es ist wie Brian sagt: Wir sind alle Individuen. Aber wehe wir unterscheiden uns allzu sehr. Im modernen Leben hat die Unterscheidung, eine wichtige politische und marktwirtschaftliche Bedeutung. Warum sonst sollte es jemanden interessieren, ob ich Klopapier wickle, falte oder knülle. Und trotzdem schaffen wir Menschen es, auch daran einiges festzumachen, „Du Knüddeler, Du“.
Da wo sich Unterschiede abgrenzen lassen, mag die Welt – oder besser gesagt: das Weltbild – ja noch in Ordnung sein. Nur wo die Unterschiede zu deutlich wahrnehmbar sind oder gar zu Überschneidungen oder Widersprüchen führen, da wird es schwierig, wenn nicht unerträglich. Dagegen wehren wir uns, ohne eigentlich genau zu wissen warum. Wenn die Unterscheidung eine Konstruktionsleistung ist und die Welt keine Unterschiede bereitstellt, warum streiten wir dann? Es geht also um etwas anderes. Als Mediator muss man nicht klären worum es geht sondern nur, wofür es gut ist und wenn man das herausgefunden hat, wie man damit umgeht.
Der Unterschied wird instrumentalisiert und der Widerspruch wird zum Maßstab. Ohne arm gäbe es kein reich und es wäre doch unerträglich wenn wir alle reich wären. Wir würden unseren Reichtum gar nicht wahrnehmen können. Woran merke ich, dass ich gut bin, wenn nicht der andere schlecht ist? Vielleicht löst sich die Frage mit dem Schumi-Paradox: so schlecht und so gut wie nie :-).
Übrigens: die Mediation lässt den Widerspruch einfach stehen. Was kümmert mich das Paradoxon. „Et is wie et is“ würde der Kölner sagen. Die Kölsche Gelassenheit ist sprichwörtlich. Ein Mediator muss sie erst erlernen.
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