Aus Anlass der Europawahl

StaatskommunikationDie Kommentare um die Europawahl veranlassen mich wieder einmal über ein Thema nachzudenken, das ich als Staatskommunikation bezeichnen möchte. Den Begriff wähle ich ganz bewusst in Analogie zur Kundenkommunikation. Der Begriff beschreibt den Austausch eines Wirtschaftsunternehmens mit seinen Kunden. Was im Umgang mit den Mitmenschen gilt, betrifft auch die staatlichen Systeme und Institutionen. Auch insoweit findet ein Informationsaustausch statt, der durchaus an kommunikativen Maßstäben zu messen ist. Früher wurde der Staat liebevoll als "Vater Staat" bezeichnet. Die Polizei wurde als "Freund und Helfer" angesehen. Der Polizist war ein "Schutzmann". Das sind warme, wohlkingende Konnotationen. Heute käme niemand mehr auf die Idee, solche Bezeichnungen zu assoziieren. Die Titel sind weniger menschenfreundlich geworden. Die Polizei hat sich zum Raubritter entwickelt, der Staat zum Abzocker.

Jetzt fällt den Politikern nicht mehr ein, als den Bürger in ein Design zu zwingen, das ihn etwas funktionaler macht. Man macht sich Gedanken über Körperfülle, Zigaretten- und Alkoholgebrauch, Spielkonsum und vieles mehr. Man macht sich Gedanken um den idealen Bürger. Ist das der ideale Staat? Was ist der Mensch in den Augen der Politik? Ich frage mich, wer dient hier wem. Der Staat dem Bürger oder der Bürger dem Staat? Offen gesagt hat mich die Pressemitteilung in der "Welt online" vom 9.6.2009 richtig wütend gemacht. Ausgerechnet ein SPD Politiker (oder es waren soger mehrere) hat sich für eine Wahlpflicht ausgesprochen. Die SPD hatte schlechte Ergebnisse bei der Europawahl. Sie glaubt nicht, dass es an ihrer Politik liegt aber an dem mangelnden Interesse des Bürgers zur Wahlurne zu schreiten. Sie schlussfolgert, wenn mehr Menschen zur Wahl gingen, dann fiele das Wahlergebnis für die SPD günstiger aus. Warum verlangt der SPD Politiker nicht gleich ein Gesetz, das zur SPD-Wahl verpflichtet? Das wäre doch viel einfacher und wahrscheinlich auch ehrlicher. Hätte der SPD Politiker diese Idee auch dann gehabt, wenn die CDU mangels Wahlbeteiligung schlechter abgeschnitten hätte? Überlegen Sie welchen Standpunkt die CDU zu diesem Vorschlag einnimmt. Bedarf es, um dies zu erfahren der Fernesehdiskussionen und Erörterungen, die auf vermintliche Parteiprogramme  zugeschnitten werden?  Zum Glück haben die parlamentarischen Kollgen – übrigens der gleichen Partei – diese Idee als unsinnig verworfen. Sie verstoße gegen die Prinzipien einer parlamentarischen Demoktratie. Zweifellos haben die Politiker – mal von den eigenen Interessen abgesehen – die beste Absichten. Man muss den Menschen doch zu seinem Glück zwingen oder nicht? Plötzlich finden wir die gleichen Gedanken wieder, die auch vor dem Hintergrund der Gesetzgebung zur Mediation eine Rolle spielen. Auch hier will man den Menschen zu seinem Glück zwingen und vor der eigenen Dummheit bewahren. Das Problem ist,  der Mensch ist gar nicht so dumm wie ihn die Politiker gerne haben möchten. Das drückt sich unter anderem in seinem Wahlverhalten aus. Ich möchte diese These gerne unter dem Gesichtspunkt der Staatskommunikation beleuchten.

Fangen wir "ganz unten" an.

Bei der Kommunikation mit dem Staat gibt es wie in jeder zwischenmenschlichen Kommunikation auch die Unterscheidung zwischen der Sach- und der Beziehungsbene. Wen wundert es, wo der Staat als ein abstraktes Gebilde selbst gar nicht in der Lage ist, zu kommunizieren. Er bedient sich der Beamten und diese sind – manchmal unerkannt – auch nur Menschen. Somit ist die Kommunikation mit dem Staat zugleich eine Kommunikation mit Menschen. Sie folgt allen Regeln der zwischenmenschlichen Kommunikation., wie wir sie in der Mediation gelernt haben.

Eigentlich sitzen wir alle in einem Boot. Die Beamten ebenso wie der Bürger denn Beamten sind – meist unerkannt – auch nur Menschen, ebenso wie die Politiker. Andererseits scheint es da einen Gegensatz zu geben zwischen den Vertretern des Staates und den Bürgern. Manchmal scheint es so, als prallten zwei Welten aufeinander. Ich wundere mich ob es dem Staat bewusst wist, wie seine Kommunikation bei dem Bürger verstanden wird.  Ich schildere nur einige exemplarische Eindrücke.

1.) Der unglückliche Polizist

Zufällig hörte ich in einer Fernsehsendung, das Interview mit einem Polizisten, der die Aufgabe hatte Temposündern auf der Autobahn aufzulauern. Vor Beginn seiner Schicht wird er von einem Journalisten befragt: "Was fühlen Sie jetzt, wenn Sie gleich Ihre Arbeit auf der Autobahn beginnen?" Die Antwort des Polizisten lautete: "Ich fürchte, ich habe heute kein Glück. Es ist wenig Verkehr!" Will er sagen, dass sich der Staat freut, wenn er Protokolle ausstellen darf? Sollte es nicht eher so sein, dass er Glück hat, wenn er es nicht tun muss? Allerdings habe ich gehört, dass ein Polizist eher befördert wird, wenn er viele Protokolle ausstellt. Es ist ein wohl Fleißmerkmal.

2.) Der tödliche Rauch

Oft frage ich mich, was der Hinweis auf der Zigarettenschachtel zu bedeuten hat. Rauchen sei tödlich, es schädige die Haut, den Alterungsprozess, Krebs und sogar die Zeugungsfähigkeit. Der Hinweis ist o.k. Aber was sagt uns der Staat wenn die Warnung vor anderen Gefahren unterlässt?

2.) Die technische Erleuchtung

Wieder in einer Fernsehsendung sah ich, wie ein Ordnungsbeamter einen Radfahrer am hellichten Tag anhielt um ihn wegen der fehlnden Fahrradbeleuchtung zu disziplinieren. "Aber es ist doch hell und ich bin ganz sicher zu hause angekommen bevor es dämmern könnte" sagte der Radfahrer. Der Polizist versuchte die Vorschrift zu rechtfertigen und meinte: "Es ist Winter da kann es ganz plötzlich dunkel werden, ehe Sie es sich versehen." Kaum überzeugend. Worum geht es hier, um den Schutz des Verkehrs? Ich glaube kaum, denn dann wäre allenfalls eine abendliche Kontrolle gerechtfertigt. Wahrscheinlich ging es um Gehorsam oder darum; die Gemeindekase aufzufüllen. 

3.) Das gebrochene Wahlversprechen

Ich erinnere, das vor einigen Jahren Kanzler Schröder vorgehalten wurde, seine Wahlversprechen gebrochen zu haben. Ich erinnere keine Konsequenz die sich daraus ergeben hätte, ausser dass die Journalisten mehr oder weniger offen kommentieren, was von Wahlversprechen zu halten sei. Was kommuniziert eine politische Partei mit einem solchem Verhalten?  Warum sollte der Bürger wählen, wenn die Versprechen so unverbindlich sind?

4.) Die Gesetzgebung

Worum geht es dem Gesetzgeber? Geht es um das Wohl des Bürgers oder um das der Partei? Was agt uns die Politik, wenn eine Partei ein Gesetz einbringt und die andere Partei widerspricht nur um deutlich zu machen, dass sie die ander Partei ist. Wenn Gesetzesvorhaben blockiert werden, nur um der Gegenpartei eine politische Niederlage zu bescheren. Wenn Gesetze zum politischen Aktionismus degradiert werden statt zu einem sinnvollen Regelungsinstrument für ein gemeinsames Handeln. Die Mediation ist ein aktuelles Beispiel.  Nahezu alle Mediatoren haben sich gegen ein Gesetz zur Mediation ausgesprochen. Raten Sie, was der Gesetzgeber unternehmen wird. Ohne ein Gesetz lässt es sich kaum belegen, dass etwas getan wurde. So wird trotz der immer wieder beschorenen Mäßigung und Entschlackung der Umfang der Gesetzgebung immer unübersichtlicher. Was will uns der Gesetzgeber mit diesem Verhalten sagen? 

Die Liste dieser Eindrücke  ließe sich beliebig verlängern. Die zweifelhafte Sinnhaftigkeit der Abwrackprämie, die willkürlich erscheinde  Subventionierung aus Anlass der Finanzkrise, die Stigmatisierung einzelner Bevölkerungsgruppen, die Kriminalisierung der Bürger, das generelle Misstrauen gegenüber dem Bürger, der äußerlich ja auch nicht mehr von einem potentiellen Terroristen zu unterscheiden sein soll und vieles vieles mehr verunsichern den Bürger. Wer blickt denn da noch durch, die Politiker etwa? Man hat nicht den Eindruck dass dies der Fall sei.

Die Auswertung zur Europawahl hat ergeben, dass es überwiegend die Intellektuellen sind die der Wahlurne ferngeblieben sind (siehe FAZ.net Artikel vom 9.6.09). Glauben die eingangs erwähnten Politiker tatsächlich, dass diese Bevölkerungschicht durch ein Gesetz  zur Wahl motiviert werden kann? Fällt ihnen nicht mehr ein, als Verbote auszusprechen? Was ist es was Sie uns wirklich mitteilen wollen?

Untersuchen wir die Wahl unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation. Man könnte sie als eine Form der Bürgerkommunikation verstehen. Sie ist formalisiert, damit jedem Bürger die Möglichkeit eingeräumt wird, die zu ihm passenden Volksvertreter zu wählen. Zur Wahl stehen Parteien und einzelne Personen, die letztlich aber wieder einem Parteizwang unterworfen sind. Was schließlich in die Vertretungen gelangt, sind Parteifunktionäre oder solche, die es werden wollen. Nicht unbedingt solche die entsprechend fachlich qualifiziert sind. Der Wahlzettel gibt genau vor, was zu wählen ist. Wenn ich beispielsweise mit der Politik der einen Partei nicht zufrieden bin, gibt es kaine andere Wahl, als eine der Gegenparteien zu wählen. Will ich das? Von der einen Partei gefällt mir Plan A von der anderen Plan B. Was wähle ich. Nur die Hälfte von dem was ich eigentlich will? Ich will keinen Parteikrieg unterstützen. Das ewige Gezänk. Ich will keinen Wahlkampf ich will eine Auseinandersetzung über Themen. Ich will keine Partei, die nur deshalb neine sagt, weil die andere ja sagt. Wie bringe bringe ich diesen Wunsch zum Ausdruck? Die Journalisten versuchen das Wahlergebnis zu interpretieren. Sie spekulieren was es bedeutet wenn die Wahlbeteiligung gering ist. Sie mutmaßen Protest einerseits und Desinteresse andereresits. Ich denke es gibt noch eine dritte Kategorie der ich angehöre. Nämlich die, die sich in den Wahlzetteln nicht wiederfinden. Die das Angebot so nicht verstehen und gerne dazu beitrage eine konstruktive Politik zu unterstützen. Die in dem Wahlzettel einfach keine Gelegenheit finden, das zu kommunizieren, was sie gerne zum Ausdruck bringen möchten. Wenn sie es auf den Wahlzettel schreiben würden, wäre er ungültig. Wie wäre es, wenn der Wahlzettel solche Erklärungen ermöglicht? Dann müssten die Journalisten nicht spekulieren warum was nicht gewählt wurde und der Bürger hat ein größeres Erklärugsspektrum. Solange dies nicht der Fall ist, was bleibt mir übrig als nicht zu wählen? 

Kürzlich hatte ich erfahren, dass es einen Unterschied macht, ob ich einen ungültigen Wahlzettel abgebe oder gar nicht wählen gehe. Gebe ich einen ungültigen Wahlzettel ab weiß zwar niemand ob es meine Dummheit oder Absicht war. Aber den Parteien wird die staatliche Wahlvergütung gekürzt. Sie hängt von der Zahl der Wähler ab, zu denen auch die Nichtwähler zählen, nicht aber die die eine ungültige Stimme abgegeben haben. Der SPD Politiker der Wahlpflicht fordert, sollte seine Idee nochmals überdenken. Es könnte den Parteien viel Geld kosten.

Arthur Trossen