Familienkonflikte kooperativ bewältigen

Wenn es um Kinder geht, so die Aussage mancher Anwälte, dann setzen wir deren Interessen auch gegen die Interessen der Eltern durch. Manchmal scheint es so, als ginge es ihnen darum, die Kinder vor den Eltern zu beschützen. Dann frage ich mich, ob die Kindesinteressen und die Elterninteressen überhaupt ein Gegensatz sind. Ist es nicht grundsätzlich so, dass es den Eltern darauf ankommt, ihren Kindern das Beste zu geben?
Wollten Sie es nicht, dass es Ihren Kindern gut geht?

 

Die sich häufenden Nachrichten über missbrauchte, verhungerte und vernachlässigte Kinder schaden dem Elternimage. Es entsteht ein generelles Misstrauen in die Kompetenz und die Versorgungsbereitschaft der Eltern. Der Ruf nach Kontrollen wächst in dem Maße, in dem die Erwartung eines eigenverantwortlichen Verhaltens zurückgeht. Ich frage mich, was tun wir den Kindern an, wenn wir ein solches Elternimage kolportieren und wie wirkt sich diese Einstellung auf die Bearbeitung der Kindschaftssachen im gerichtlichen Umfeld aus. Was muss ein Kind denken, wenn es ein Bewusstsein dafür bekommt, dass es eines Schutzes vor den eigenen Eltern bedarf? Dabei besteht überhaupt kein Anlass, den kriegerischen Effekten einer familiären Auseinandersetzung auf diese Weise beizutreten. Die jeweilige Sichtweise ergibt den Handlungsrahmen. Sie geht auf die generelle Haltung der Eltern zurück, auf deren innere Einstellung, die sie sich selbst und den Kindern gegenüber aufbringen. Ihre Haltung interagiert mit der gesellschaftlichen Sicht und dem Stellenwert, den sie den Kindern beimisst. Gerne wird übersehen, dass das Kind nicht immer ein Kind bleiben wird. Irgendwann einmal wird es erwachsen sein. Dann muss es ausbaden, was die Gesellschaft zur Wahrung der Kindesinteressen unternommen hat – oder eben nicht. Der Generationenvertrag ist ein Beispiel dafür, wie Entscheidungen über die Köpfe der Kinder hinweg und zu deren Lasten getroffen werden. So kann es passieren, dass zwar das kindliche Kind geachtet wird, das erwachsene Kind (der erwachsene Mensch) jedoch nicht, obwohl beides zum gleichen Menschen gehört. Die Unterscheidung zwischen Kind und Erwachsenem begünstigt das Denken, das die Kinder vor den Erwachsenen beschützen will. Sie polarisiert und verhindert den Blick auf den Umstand, dass nicht nur das Kind Schutz verdient, sondern der Mensch schlechthin. Besonders dann, wenn er sich in der Krise befindet. Einer Krise, die so schwer wiegt wie eine Scheidung oder der Tod eines Angehörigen.
Viele Menschen verbinden mit der Trennung der Eltern die Vorstellung eines Zusammenbrechens der Familie. Diese Sichtweise wird der modernen Gesellschaft nicht gerecht. Die Trennung der Eltern an und für zerstört keine Familie. Sie trägt allerdings dazu bei, dass sich die Erscheinungsform der Familie verändert. Aus der konventionellen Familie entsteht die Patchworkfamilie. Die Kinder erhalten die Chance, in zwei Familien aufzuwachsen. Im idealen Verlauf einer elterlichen Trennung erleben sie statt eines Verlusts des Elternteils einen Zuwachs an neuen Familienmitgliedern und im Umgang mit ihnen einen Zuwachs an sozialer Kompetenz . Viele Eltern sind in ihrem Konflikt hilflos. Sie reagieren intuitiv und projizieren, letztlich in dem Bemühen nur das Beste für die Kinder zu wollen, eigene Sichtweisen und Probleme in das Kindverhalten. Wer muss vor wem beschützt werden? Die Kinder vor den Eltern oder die Eltern vor dem Menschen, der in jedem Teil von ihnen lebt und den man sogar im Kind wieder findet. Dem Menschen, der in Anbetracht der wohl größten Lebenskrise verzweifelt ist, der verletzt ist, der nicht mehr weiter weiß, der irgendwie mit den überwältigenden Gefühlen umgehen muss, der einen Ausgleich sucht. Meistens ist sein Hass der Beweis einer vorangegangenen großen Liebe. Er ist Ausdruck von einer emotionalen Abhängigkeit, die es den Betroffenen extrem schwer macht, sich von dem Partner zu trennen um alleine ohne ihn weiter zu leben. Sein Hass ist ein Äquivalent für die Verletzungen. Er soll die Liebe und den darauf folgenden Verlust kompensieren. Hass und Wut bringen aber keine Heilung. Entgegen der Meinung vieler Betroffenen ist der Hass nicht das Gegenteil von Liebe. Deren Gegenteil ist die Gleichgültigkeit. Der Hass ist ein Beweis für besonders starke Gefühle. Er ist ein Indiz für Bindungen, welche die Ehegatten in ihrer Paarbeziehung einfach noch nicht verarbeitet haben. Er ist der Beweis für einen anhaltenden Krisenzustand und keinesfalls zur Auflösung oder gar Neutralisation einer Beziehung geeignet. Die Umwelt interpretiert die Auseinandersetzung als ein Kriegszustand. Sie bezeichnet die hoch eskalierte Auseinandersetzung als Rosenkrieg, so dass sie sich schon terminologisch über die dahinter liegende Krise hinwegsetzt¬. Den Krieg ¬ nimmt die Außenwelt sehr deutlich wahr, nicht die dahinter verborgene Krise. Demzufolge reagiert die Umwelt auf den Krieg statt auf den mit der Krise zum Ausdruck kommenden Hilferuf. Sie wird den Hilferuf des Kindes nicht den Erwachsen.

Das Kriegsspiel

Die Juristen scheinen den Krieg zu kennen. Viele Menschen glauben, dies läge an der juristischen Methode. Sie behaupten, die juristische Methode sei eine Methode der Streiteskalation. Ihre Ansicht verkennt die Situation. Es ist nicht die Methode die zur Eskalation führt, sondern es sind die Menschen, die sich ihrer bedienen, welche eine Eskalation herbeiführen oder nicht. Üblicherweise stehen sich die Parteien in einem Gerichtsverfahren konfrontativ gegenüber. Das ist zugleich die Ausgangslage für das weitere Verfahren. Sie bedingt eine Zielvorgabe, welche die Parteien mit einem Gewinn oder einem Verlust bzw. einem Sieg oder einer Niederlage assoziieren. Sie geht so weit, dass die Parteien sogar immateriell verankerte Werte wie das Sorge- oder das Umgangsrecht als einen ausgelobten Gewinn zu betrachten. Die streitige Zielvorgabe ergibt aus der strategischen Sicht ein so genanntes Nullsummenspiel . Nullsummenspiele werden in der Spieltheorie definiert. Die Spieltheorie ist eine Disziplin der Mathematik, die sich mit der Analyse von Systemen befasst, wobei die Spiele als Vorgänge verstanden werden, bei denen mehrere Akteure versuchen, ein Ergebnis herbeizuführen. Ein Nullsummenspiel zeichnet sich dadurch aus, dass die Summe der Gewinne bzw. Verluste aller Akteure zusammengenommen immer gleich null ist. Im Nullsummenspiel gewinnt somit die eine Partei immer nur das, was die Gegenpartei verliert. Wird die Auseinandersetzung um das Sorgerecht in einem strategischen Nullsummenspiel erstritten, dann liegt es nahe, wenn sich für die Parteien dementsprechende entsprechende Sieg- und Niederlagekorrelationen herstellen. Die eine Partei gewinnt das Sorgerecht, die andere verliert es. In einer solchen strategischen Grundhaltung ist es schwer, Frieden zu finden und fast noch schwieriger, den Frieden zu stiften. Der Fokus reduziert sich auf den Sieg. Die Niederlage ist mit allen Mitteln zu verhindern. Der hinter dem Sieg liegende Nutzen wird ebenso wenig reflektiert, wie der Umstand, dass die Übertragung des Sorgerechts im Grunde eine Übertragung von Pflichten ist und eine zusätzliche Verantwortung begründet. Sie ist also alles andere als ein Gewinn. Dennoch wird der Krieg institutionalisiert. Das Siegen wird zum Selbstzweck. Warum ist der Sieg den Parteien so wichtig? Worum geht es ihnen wirklich?

Niemand hat ein wirkliches Interesse an einer unkontrollierten Streiteskalation. Spätestens dann, wenn ein Streit in die Kategorie Rosenkrieg eskaliert, schadet er nicht nur den Parteien. Streitigkeiten mit diesem Ausmaß bleiben nicht privat. Sie belasten nicht nur die Parteien selbst, sondern auch das soziale Umfeld, ganz zu schweigen von den Scheidungskindern. Der Scheidungskrieg bekommt eine gesellschaftliche Dimension. Es gibt gute Gründe sich ihm zu stellen. Die Motive sind unterschiedlich. Aber alle zielen darauf ab, den Krieg zu beenden.

Die Friedensmission

Wie beendet man einen Krieg? Wie gelingt es, Frieden zu stiften? Das ist gar nicht so einfach, denn im Krieg kann sogar ein Friedensangebot eine Finte sein und als kriegerische Maßnahme betrachtet werden. Es kommt nur darauf an, ob es als der Teil einer Konfrontationsstrategie verstanden wird. In strategischer Hinsicht kommt das Bemühen der Parteien um Frieden nur dann zum Tragen, wenn es gelingt, sie aus dem Nullsummenspiel zu entlassen. Mit dem Nullsummenspiel ist die Konfrontation als nahe liegende Strategie verknüpft. Die „wie du mir so ich dir – Strategie“ ist die erfolgreichste Strategie in dieser Kategorie. Die Kooperation dagegen versagt im Nullsummenspiel. Zu groß ist das Risiko, dass der kooperative Ansatz den Gegner eher stärkt, anstatt ihn zu schwächen. Die Kooperation würde in einem solchen Setting den eigenen Verlust nahe legen. Anders wirkt sie im so genannten Positivsummenspiel. Hier gehen die Parteien davon aus, dass es keine Verlierer mehr geben kann. Die Summe der Gewinne bzw. Verluste aller Akteure zusammengenommen ist nicht auf den Einsatz beschränkt. Ist es denkbar, ein derartiges Positivsummenspiel etwa bei dem Streit um Sorge oder Umgangsrecht anzunehmen? Die Antwort lautet: Ja. Die Mediation zeigt wie es geht. Sie weist den Weg zu allseits befriedigenden Lösungen im Sinne eines Win-win-Ergebnisses, bei dem sich niemand mehr als Verlierer fühlen muss. Der Weg führt über die Aufdeckung der hinter dem Streit liegenden Interessen. Die Mediation geht davon aus, dass sich er Kuchen, gemeint ist das auszulobende Ergebnis, nach der Einbeziehung der hinter dem Konflikt liegenden Interessen vergrößern lässt. Allerdings setzt die Mediation Freiwilligkeit voraus. Die Freiwilligkeit beschreibt in diesem Verständnis die Bereitschaft der Parteien konstruktiv miteinander zu verhandeln und einander zuhören zu wollen. Dies setzt auch die Bereitschaft voraus die andere Seite und deren Interessen akzeptieren zu wollen. Es handelt sich um eine Anforderung, welche die Parteien im Streit, in einer konfrontativen Ausgangslage nur bedingt und bei einem hohen Eskalationsgrad gar nicht für möglich halten. Solange die Mediation als ein kooperatives Verfahren der Konfliktlösung nicht möglich ist, kommt es darauf an den Parteien außerhalb der Mediation Wege aufzuzeigen, die sie motivieren vom Nullsummenspiel Abstand zu nehmen und in ein Positivsummenspiel zu wechseln. Es mag für den einen oder anderen nicht nahe liegenden, dennoch ist es grundsätzlich möglich, auch im Gericht ein Positivsummenspiel anzubringen. Dankenswerter Weise hat der Gesetzgeber den Richter nicht in einem Nullsummenspiel gefangen. Über den Schlichtungsauftrag ergeben sich verschiedene Wege, die Parteien gerichtlicherseits zu einer Kooperation zu motivieren . Bei abgegrenzten Konflikten oder niedrigen Eskalationen kann es gelingen, die Parteien von einer Kooperation zu überzeugen. Gegebenenfalls kann er selbst sogar eine kooperative Verhandlung etwa im Rahmen einer Güteverhandlung durchführen. Bei eskalierten Konflikten bedarf es eines größeren Aufwandes. Hier ist der Erfolg fraglich. Allerdings gelingt es dem Richter – möglicherweise sogar besser als jedem anderen Streithelfer – einen wichtigen Schritt in die kooperative Konfliktlösung zu initialisieren. Eine vollständige Kooperation findet dann gegebenenfalls wieder in einer Mediation statt. Bei hohen Konflikten ist es strategisch gesehen ein Vorteil wenn sich die Verfahren der Kooperation und der Konfrontation sauber gegeneinander abgrenzen. Die Trennung der Verfahren kommt der Mediation entgegen.
Der Ruf nach Mediation wird immer lauter. Ihm liegt die Erkenntnis zugrunde dass die Eigenverantwortung der Parteien gestärkt wird, wenn es zu einer einvernehmlichen Vereinbarung auf konsensualer Basis kommt. Die Nachfrage ist allerdings noch verhalten. Trotzdem wird mit aller Anstrengung versucht, die Mediation als ein kooperatives Schlichtungsangebot vorzuhalten. Ein Modell, welches das kooperative Verfahren der Mediation mehr oder weniger direkt dem Gericht anbindet ist die gerichtsnahe Mediation. Bei der gerichtsnahen Mediation empfiehlt der erkennende Richter das konfrontative Gerichtsverfahren zu unterbrechen, um den Parteien die Möglichkeit einzuräumen, eine außergerichtliche Mediation durchzuführen. Aber auch hier ist die Nachfrage zurückhaltend. Deutlich bessere Erfolge erlangte in Deutschland das Modell der so genannten gerichtsinternen Mediation. Bei der gerichtsinternen Mediation empfiehlt der erkennende Richter das konfrontative Gerichtsverfahren zu unterbrechen um den Parteien die Möglichkeit einzuräumen, eine außergerichtliche Mediation bei einem Richterkollegen durchzuführen, der über eine entsprechende Ausbildung verfügt und in der Sache selbst keine Entscheidungsbefugnis besitzt. Das hoheitlich geprägte Angebot und der kurze Weg vom Gericht in die Konflikthilfe begünstigen die Nachfrage nach einer gerichtsinternen Mediation signifikant. Trotzdem ist diese Art der Verfahrenkombination in Familiensachen nicht sehr hilfreich. Die Familienmediation wird in der Regel mit 10 Stunden kalkuliert. Der zeitliche Rahmen sprengt die ökonomisch vertretbaren Bedingungen, welche von Seiten der Justiz zur Verfügung gestellt werden können. Justiz geht davon aus, dass die gerichtsinterne Mediation nach drei Stunden abgewickelt sein soll. Auch das Modell der integrierten Mediation würde unter dem Zeitdruck zu leiden haben. Bei der integrierten Mediation wendet der erkennende Richter Haltungen, Prinzipien, Strukturen, Methoden und Techniken der Mediation an, ohne jedoch ein explizites Mediationsverfahren durchzuführen . Die Verfahrensweise wurde im so genannten Altenkirchener Modell erprobt. Sie beschreibt die Einführung kooperativer Verfahrensformen in ein streitiges Gerichtsverfahren. Der Richter exponiert seine Rolle als Schlichter, indem er den Fall anmediiert. Anmediieren bedeutet, der Richter nimmt die Haltung des Schlichters ein. Er strukturiert das Schlichtungsgespräch entsprechend den Phasen der Mediation und verwendet deren Methoden und Techniken. In einem eskalierten Konflikt wird er kaum zu einem Ergebnis kommen. Um den konstruktiven Ansatz dennoch weiter zu verfolgen bietet sich in den Familiensachen eine Vernetzung an. Es würde schon helfen, wenn die Rechtsanwälte darauf achten, dass sich die Parteien ebenso wie sie selbst kooperativ verhalten und eine Eskalation vermeiden. Ein Beispiel dafür ist das so genannte Collaborative Law . Es handelt sich um eine von Amerika kommende professionelle Form der Streithilfe, die sich allerdings auf die außergerichtliche Konfliktlösung beschränkt. Vernetzung bedeutet in dem Zusammenhang nicht mehr oder weniger als die Verfolgung eines gemeinsamen Ziels der kooperativen Konfliktlösung, wie sie in einem Positivsummenspiel möglich ist. Solange die Parteien beziehungsweise die Parteivertreter gegnerische Ziele verfolgen, wie sie im Nullsummenspiel typisch sind, ist es leicht alle Bemühungen des Richters für eine Kooperation zu torpedieren. Oft genug geschieht es, dass die Parteien den Anwalt wechseln, um noch effizienter gegeneinander vorgehen zu können. Es ist ein Zeichen des Konfliktes und des unbedingten Willens, die Gegenpartei besiegen zu wollen. Manche Anwälte missverstehen die Not der Parteien und legen das Mandat entsprechend scharf an. Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, wie sehr sie sich für die Interessen ihrer Mandanten einsetzen. Wofür sie sich aber tatsächlich verwenden ist das Interesse der Parteien am Streiten. Sie helfen ihrer Partei, deren Position durchzusetzen. Es scheint, als wüsten sie nicht, dass das machtvolle Durchsetzen einer Position nur selten geeignet ist, eine nachhaltige und dauerhafte Befriedigung herbeizuführen. In den Dauerschuldbeziehungen bedeutet es meistens einen weiteren Schritt in die Eskalation. Um das Ziel einer gemeinsamen, kooperativen Konfliktlösung zu verfolgen ist es notwendig, dass die am Familienkonflikt beteiligten Professionen nicht nur auf das juristische Wissen zugreifen können, sondern auch über hinreichende Kenntnis der psychologischen Konflikthintergründe, sowie der Phänomene von Kommunikation und Wahrnehmung verfügen. Das für die Konfliktlösung insgesamt erforderliche Wissen ist in unserem Streitsystem in jeder Profession nur fragmentarisch vorhanden. Ein Wissens- und Erfahrungsaustausch unter den Profession ist deshalb einer von vielen Möglichkeiten, dieses Defizit zu überwinden.
Die Arbeitskreise Trennung und Scheidung bieten einen idealen Rahmen, in dem die Professionen voneinander lernen können. Das gemeinsame Wissen über Konflikte und Konfliktbewältigung sowie über Familiensysteme legt eine Kooperation nahe. Sie lässt erwarten, dass alle Prozessbeteiligten sich entsprechend konstruktiv verhalten. Wenn es wie in der Cochemer Praxis darüber hinaus zu Absprachen unter den Profession kommt, kann sich der Richter mehr oder weniger darauf verlassen, dass auch im Falle eines Anwaltswechsels der konstruktive Ansatz nicht verloren geht. Der systemische Ansatz ist sehr stark. Er ist so stark, dass er das Risiko in sich birgt, dass sich andere Sichtweisen dagegen kaum noch behaupten können. Daraus ergeben sich sowohl prozessuale Chancen wie auch Risiken.

Das Krisenmanagement

Im Streit kommt es jeder Partei darauf an, sich durchzusetzen. Die andere Seite soll sich der eigenen Sichtweise und Bewertung unterwerfen. Sie soll Schuldbekenntnisse abgeben und Fehlverhalten eingestehen. Die darauf abzielende Kommunikation verläuft meist zirkulär. Sie ist nicht zielführend. Es gibt ein endloses „Du bist schuld!“, „Nein Du bis schuld!“, „Nein, Du hast aber“, „Du hast doch selber“, usw. Eine solche Kommunikation führt zur Eskalation. Wie lässt sie sich unterbinden? Abgesehen von den Methoden der Kommunikation (Metakommunikation ) und psychologischen Anwendungen (paradoxe Intervention ) gibt es einen wirksamen strategischen Ansatz. Er zielt darauf ab, den Parteien die Motivation zur Kriegsführung zu nehmen. Die Parteien müssen ihren Krieg jeweils für sich als sinnlos erkennen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn ihre Kräfte verbraucht sind und jede weitere Unterstützung versagt wird, gegeneinander zu konfrontieren. Wenn es keine Gladiatoren mehr gibt und wenn das Prozessrisiko für beide Seiten so groß wird, dass es praktisch auf keiner Seite mehr Gewinner gibt. Jetzt sind die Parteien nicht aus ideologischen oder moralischen Gründen veranlasst ihr Vorgehen zu reflektieren. Jetzt sind es strategische Gründe, andere Wege der Konfliktbeilegung zu suchen. Der Weg in die Kooperation ist nicht nur eröffnet, er ist naheliegend . Die Cochemer Praxis erzielt den gleichen strategischen Effekt allerdings mit einem anderen Ansatz. Hier wird ein anderes höheres Interesse eingebracht, dessen Beachtung ebenfalls zu einem Wechsel von der Konfrontation in die Kooperation führt. Anders als bei den zuvor geschilderten strategischen Überlegungen der integrierten Mediation kommt jetzt ein moralischer, bewertender Ansatz auf. Es ist die Idee, dass die Elterninteressen hinter den Kindesinteressen zurückzutreten haben. Dieser Ansatz rechtfertigt die Auffassung, dass sich Eltern so lange streiten sollen, wie deren Kinder davon nicht betroffen sind. Ebenso wie der strategische Ansatz führt auch dieser Gedanke zur Übernahme der Eigenverantwortung oder in diesem Fall besser gesagt der Elternverantwortung. Nachteilig erscheint gegenüber der integrierten Mediation lediglich, dass dieses Modell nur die Kindschaftssachen betrifft .
Tatsächlich lebt sich der Konflikt der Eltern nicht nur in den Kindschaftssachen aus. Auch in anderen Auseinandersetzungen wie die Frage nach dem Zugewinnausgleich, der Unterhaltsverpflichtung der Wohnungszuweisung usw. gelangt der elterliche Konflikt an die Oberfläche. Jetzt wird deutlich, dass es nicht nur die Kinder sind, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Zweifellos verdienen auch die Erwachsenen eine Wegweisung und Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Krise. Auch hier kommt die integrierte Mediation zum Tragen. Sie verfolgt ein Umdenken, das die Voraussetzung einer nachhaltigen Konfliktlösung ist und insofern auch den Kindern zu gute kommt und zwar auch dann, wenn diese nicht direkt in ein Verfahren involviert sind. Das zu Konfliktbeilegung nötige Umdenken betrifft in erster Linie die Wahrnehmung des Konfliktes. Das Leid wird nicht zum Anlass für Rache. Es gibt lediglich den Hinweis auf einen Änderungsbedarf. Die Schuldzuweisung erlaubt nicht länger die Schlussfolgerung, dass der Gegner für das Wohlbefinden der sich betroffen fühlenden Partei einzustehen hat. Sie löst lediglich die Frage aus, was kann die betroffene Partei selbst dazu beitragen, damit es ihr besser geht. Eigenverantwortlichkeit wird hergestellt, indem die Partei erkennt, dass es nicht die Gegenseite ist, die für ihr Glück verantwortlich zeichnet. Die Vorstellung, der andere Elternteil könne das Kind wegnehmen relativiert sich durch die Erkenntnis, dass ein Kind kein Besitz ist, den man verlieren kann. Ein Kind hat man ein Leben lang. Das hat nichts damit zu tun, ob Umgang gepflegt wird und ob das Kind bei dem Elternteil wohnt. Etwas das man nicht besitzt kann man auch nicht wegnehmen. Dass das Kind bei einem Elternteil wohnt und dass sich dieser Elternteil um die leibliche Versorgung des Kindes kümmert bedarf ebenso der Wertschätzung wie der Umstand, dass sich der andere Elternteil der finanziellen Versorgung annimmt. Außenstehenden mag es leicht fallen, sich diesen Gedanken anzuschließen. Vor dem Hintergrund einer Krise fällt das Umdenken allerdings extrem schwer. Die Wahrnehmung ist auf einen Standpunkt fokussiert. Manchmal braucht es eines Anstoßes um von diesem Fokus abzulassen zu können. Der Weg dorthin wird durch eine (auf)klärende Kommunikation vorgegeben. Er muss freiwillig gegangen werden, denn nur so gelingt es der Partei, ihre Augen für andere Standpunkte zu öffnen und andere Sichtweisen zu akzeptieren. Nicht ohne Grund ist die Freiwilligkeit eines der wichtigsten Prinzipien der Mediation. In einem Verfahren der Konfliktlösung sollte die strategische Zielführung deshalb zunächst die Herbeiführung einer Gesprächsbereitschaft sein. Hier zeigt sich eine unerwartete Stärke des Richters. Im Gegensatz zum Mediator pflegen die Parteien seinen Einladungen zu folgen. Ihm gelingt es leicht die Parteien an einen Tisch zu bekommen. Nachdem dies geschehen ist, liegt es an ihm, ob und wie es dem Richter gelingt, den Blick der Parteien vom Streitgegenstand weg auf den dahinter verborgenen Konflikt zu lenken. Die erste methodische Vorgehensweise besteht darin, Verständnis herzustellen und dieses Verständnis der gegnerischen Partei zu vermitteln. Es ist der Kerngedanke der Mediation. Der Richter versucht den Fokus zu verändern. Es kommt nicht darauf an, wer was falsch gemacht hat, sondern darauf, was nötig ist, damit es allen Beteiligten, also den Eltern ebenso wie den Kindern gut gehen kann. Seine Werkzeuge sind die der Mediation. Er versucht deshalb Verhandlungsprinzipien einzuführen, wie etwa die Transparenz, welche alle Schritte im Verfahren offen legt und streitige Strategien entlarvt oder die Offenheit, welche es den Parteien ermöglicht, ihre Sorgen anzusprechen und die Informiertheit, die zur Beantwortung aller relevanten Fragen führt. Über eine strukturierte Kommunikation, welche entsprechend dem Phasenmodell der Mediation zunächst die Position erfasst, danach die Interessen und zuletzt die Lösungsoptionen, versucht er eine Klärung herbeizuführen. Darüber hinaus verwendet er die Techniken des Paraphrasierens, des Verbalisierens und des Fragens, um eine klärende Trennung der Sachebene (des Problems) von der Beziehungsebene (dem Mensch) zu ermöglichen. Den systemischen Möglichkeiten und Werkzeugen, welche die Gerichte einsetzen können sind im Detail beschrieben . Sie kollidieren nicht mit seiner Rolle als Richter und passen sich an die Prozessordnung an. In der Rolle als Schlichter ergeben sie dem Richter nahezu unbegrenzt viele Möglichkeiten, mit den Parteien zu kommunizieren. Ein formal abgegrenzter Rahmen, in dem die Kommunikation als eine geschützte Kommunikation gelingen mag, stellt die Güteverhandlung zur Verfügung. In Familiensachen ergeben sich durch die Zusammenarbeit mit Jugendämtern, Beratungsstellen und Gutachtern gegebenenfalls weitere Möglichkeiten, zeitaufwendige Verhandlungen auszulagern. Jetzt profitiert der Richter von den in einer Vernetzung verfügbaren Ressourcen. Er profitiert auch von der Möglichkeit, die Parteien zum Zweck kooperativer Verhandlungen in die Mediation zu zwingen. Außerhalb der Mediation und in Kindschaftssachen könnten solche meditativen Gespräche natürlich auch im Jugendamt in der psychologischen Beratungsstelle oder im Rahmen einer Lösung orientierten Gutachtens stattfinden.
Der Friedensvertrag
Die integrierte Mediation denkt nicht in Verfahren sondern in Abläufen (psychologische Prozesse). Deshalb ist ein Mediieren ohne weiteres auch im Gericht möglich, auch wenn es sich nicht um ein Mediationsverfahren handelt. Wenn die Notwendigkeit zu einer Einigung von den Parteien erkannt wurde und es gelungen ist, das Verständnis für sich und den Gegner zu vermitteln, sind die Voraussetzungen für eine konsensuale Einigung erfüllt. Verfahrenstechnisch spielt es keine große Rolle wo die Vereinbarung zustande kommt, ob beim Richter oder beim Mediator. Ob sie allein oder mit der Unterstützung der Rechtsanwälte eingeführt wurde. Wenn die Parteien selbst eine Lösung gefunden und vereinbart haben besteht eine gewisse Vermutung für die Nachhaltigkeit der Lösung. Wenn die Einigung der Parteien schließlich auf einem Konsens beruht, ergibt sich eine win-win Situation, von der nicht nur die Parteien, sondern auch alle anderen Prozessbeteiligten profitieren. Die Rechtsanwälte verbessern ihre Reputation. Insbesondere beweisen sie, dass ihr zweifelhaftes Image als Streittreiber und Mietmaul nicht immer gerechtfertigt ist. Die Richter profitieren davon, dass die Parteien selbst die Verantwortung für das Ergebnis übernehmen. Das hat für sie eine psychologisch entlastende Wirkung. Wie sehr die Richter unter der Entscheidungspflicht in Familiensachen leiden ergab die Umfrage im Koblenzer Justizprojekt , als eine Richterin nach der Fortbildung zur integrierten Mediation zurückgemeldet hat: „Ich hab keine Albträume mehr“. Sie hat gelernt zu erkennen, wo die Richterverantwortung beginnt und die Elternverantwortung endet.
Zusammenfassung
Es wird deutlich, dass der Richter eine Familiensache strategisch angehen kann. Sein Ziel sollte darin bestehen, dass die Parteien im Rahmen einer Kooperation selbst die Lösung ihres Konfliktes herbeiführen. Das ist nicht immer im außergerichtlichen Bereich möglich, wie es beispielsweise das Collaborative Law anstrebt. Bei hoch eskalierten Konflikten ist der Einsatz des Gerichts durchaus sinnvoll und hilfreich. Voraussetzung ist, dass auch der Richter das Ziel verfolgt, den Schritt in eine kooperative Konfliktlösung zu ermöglichen. Er bedient sich dazu am besten des Wissens und der Methodik einer mediativen Konfliktlösung, wie sie in der integrierten Mediation beschrieben wird. Er optimiert seine Vorgehensweise, indem er systemische Effekte ausnutzt und darauf vertraut, dass auch das professionelle Umfeld anstrebt, eine Kooperation der Parteien zu ermöglichen. Über den Austausch in Arbeitskreisen werden diese systemischen Effekte nutzbar gemacht. Die ideale Vorgehensweise ist somit eine systemisch integrierte Mediation, wie sie im Justizprojekt „Koblenzer Praxis“ erprobt wurde, wo die integrierte Mediation mit der Cochemer Praxis vereint wurden.

Arthur Trossen