Gerichts-Integrierte Mediation

Das Justizprojekt Integrierte Mediation in Familiensachen im Bezirk des OLG Koblenz hat seinen ersten Zwischenstand erreicht. Zufriedene Familienrich-terinnen und Familienrichter empfinden ein gesteigertes Qualitätsbewusst-sein verbunden mit einer deutlich reduzierten Belastung bei der Bearbeitung von Familienrechtsverfahren. Der Grund ist eine veränderte Haltung und ein lösungsorientierter Ansatz.

Schon der Name integrierte Mediation in Familiensachen verweist auf die Bedeu-tung, die der Mediation in dem Justizprojekt aus Rheinland-Pfalz zukommt. Obwohl es sich bei der Mediation um ein außergerichtliches Verfahren handelt, ist sie auch für die Justiz von besonderem Interesse. In England wird die Mediation für den Rückgang von über 100.000 Gerichtsverfahren verantwortlich gemacht . Grund genug auch für die Deutsche Justiz sich mit dem Thema Meditation zu beschäfti-gen. So gibt es eine Reihe von Projekten mit dem Ziel, Justiz und Mediation zu verknüpfen. Bei der gerichtsnahen Mediation vermittelt der erkennende Richter die Parteien in eine reine Mediation, die als ein externes Verfahren, außerhalb des Gerichts, stattfindet. Die Entlastungserfolge der gerichtsnahen Mediation sind recht unterschiedlich. Einsparungseffekte sind für die Justiz in Deutschland ebenso wie in anderen europäischen Ländern eher zurückhaltend . Die Evaluation der Justiz-projekte , unter anderem in Bayern, Baden-Württemberg und in Graz haben erge-ben, dass die gerichtsnahe Mediation eine Vermittlung von nicht mehr als 10% der Fälle an die Mediation erreicht, was – gemessen an dem Aufwand –zu unbedeu-tend ist, um diese Projektstrategien weiter zu verfolgen. Eine Ausnahme bildet das Projekt in Niedersachsen, das zur besseren Abgrenzung nicht, wie dort, als ge-richtsnahe Mediation beschrieben, sondern treffender als gerichtsinterne Mediati-on bezeichnet wird. Die gerichtsinterne Mediation unterscheidet sich von der gerichtsnahen Mediation dadurch, dass nach Vermittlung des erkennenden Rich-ters ein Mediationsverfahren eingeleitet wird und das der Mediator ein in der Sache nicht erkenntnisbefugter Richter ist, der die Mediation innerhalb des Gerichts und bislang für die Parteien kostenfrei durchführt. Die Evaluation des Projektes in Nie-dersachsen ist inzwischen abgeschlossen und es zeigt sich, dass diese Variante auf der landgerichtlichen Ebene wesentlich mehr Fälle akquirieren kann als die zu-vor beschriebene gerichtsnahe Mediation. Das Projekt in Niedersachsen belegt eindrucksvoll, dass der zwei bis dreistündige Zeitaufwand für die von einem eigens dazu ausgebildeten Richter durchgeführte Mediation im Vergleich zur konventio-nellen juristischen Streitbehandlung nicht nur eine Arbeitsersparnis bedeutet, son-dern auch eine gesteigerte Zufriedenheit der Parteien bewirkt. Inzwischen gibt es schon einige Gerichte, die dieses Konzept übernommen haben .

Das Justizprojekt Integrierte Mediation in Familiensachen im Bezirk des OLG Kob-lenz schließt, nachdem die gerichtsnahe und die gerichtsinterne Mediation bereits einer wissenschaftlichen Evaluation unterlagen, eine wissenschaftliche Lücke, indem es die Effizienz eines mediativen Arbeitens innerhalb des erkennenden Ge-richts einer Evaluation zuführt. Vom Ansatz her ist integrierte Mediation kein ei-genständiges Verfahren und keine sukzessive Aneinanderreihung selbständiger Verfahren, die unabhängig voneinander geführt werden. Es handelt sich vielmehr um die Verfahrensweise in einem vorgegebenen Verfahrensumfeld, wie beispiels-weise einem Gerichtsverfahren, in dem es mediative Kompetenzen und Prinzipien im Interesse einer (konflikt-) lösungsorientierten Rechtsanwendung einbezieht . In den Familiensachen lenkt die pragmatische, auf Interesse und Nutzen gelenkte Ausrichtung der integrierten Mediation den Blick auf die Komplexität der zugrunde liegenden Trennungsprozesse. Die Scheidung wird aus vier miteinander zu kombi-nierende Prozesse gebildet:
Die juristische Scheidung Ihre durchschnittliche Dauer beträgt ½ Jahr. Es geht um die Abwicklung, die Aus-einandersetzung und die Neuregelung der rechtlichen Beziehung der Familienmit-glieder zueinander.

Die psychologische Scheidung

hre durchschnittliche Dauer beträgt 5 Jahre. Es geht um die Wiederherstellung der persönlichen Autonomie und der individuellen Vollständigkeit.

Die soziale Scheidung

Ihre durchschnittliche Dauer beträgt 3 Jahre. Es geht um die Wiederherstellung des sozialen Beziehungsgefüges.

Die ökonomische Scheidung

Ihre durchschnittliche Dauer beträgt 30 Jahre. Es geht um die Wiedererlangung der wirtschaftlichen Autonomie und die Unabhängigkeit vom Partner.

Eine Scheidung ist dann gut verlaufen, wenn alle Prozesse für beide Seiten nutz-bringend abgewickelt werden. Das heißt, wenn die Eheleute in psychologischer, sozialer, wirtschaftlicher und juristischer Hinsicht wieder autonom sind. Aus dieser ganzheitlichen Perspektive bemisst sich der aus der juristischen Intervention fol-gende Nutzen letztlich an der Lebbarkeit der gefundenen Regelung und ihrem indi-viduellen Nutzen für alle Betroffenen. Dieses Ziel verfolgend, lautet die These, dass die Effizienz der Arbeit in Familiensachen durch die Einbeziehung psycholo-gischer, betriebs- bzw. finanzwissenschaftlicher und kommunikativer Kompetenzen ganz wesentlich gesteigert wird. Genau das ist die Intension des Justizprojektes in Koblenz. Die Umsetzung des Projekts verläuft in drei aufeinander aufbauende Phasen:

  • Vorbereitungsphase
  • Ausbildungsphase
  • Evaluierungsphase

Die ersten beiden Phasen sind nunmehr abgeschlossen. Ohne der Evaluierungs-phase vorweg greifen zu wollen, kann schon jetzt eingeschätzt werden, dass die Ziele des Projektes weitestgehend erreicht wurden. Dies wird durch eine Studie belegt, die erste Auswertungen vornimmt. Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • In ihren Selbsteinschätzungen bekunden die teilnehmenden Richterinnen und Richter, dass nicht nur ihre Zufriedenheit merklich gesteigert werden konnte, sondern auch die der Parteien und anderer Prozessbeteiligter .
  • Sowohl in den Feedbackbefragungen, wie in den ausgewerteten Fragebö-gen bestätigen die Teilnehmer eine spürbare Steigerung ihrer Konfliktkom-petenz. Sie können nicht nur besser mit Konflikten umgehen, sondern die-se auch besser verstehen und für das Verfahren nutzbar machen.  
  • Die Richter haben am Ende der Ausbildung ein eigenes Selbstverständnis gefunden. Sie bezeichnen sich als Moderator, Richtermediator oder Navi-gator. Sie bestätigen, dass nicht nur die Kommunikation mit den Parteien, sondern auch mit den Anwälten als wesentlich umgänglicher und konstruk-tiver empfunden wird.
  • Die Richter fühlen sich weniger belastet. Sie haben gelernt, die Verant-wortlichkeiten der Parteien und der übrigen Prozessbeteiligten wahrzu-nehmen und gegen die eigene Verantwortung neu abzugrenzen. „Ich träume nicht mehr von den Fällen“ war eine diesen Effekt belegende Rückmeldung einer Teilnehmerin .
  • Die Teilnehmer berichten über einen reduzierten Aktenumlauf (Aktenstär-ke) ebenso wie über einen verringerten Schriftverkehr, weniger streitige Entscheidungen und mehr „Mehrvergleiche“. Das Ziel, Verfahrenskosten einzusparen, lässt sich aus dem verringerten Schriftverkehr und der gerin-geren Inanspruchnahme von Sachverständigengutachten ablesen .

Fazit

Das Justizprojekt hat eine Entwicklung ausgelöst, die noch lange nicht abge-schlossen ist. Viele Richter experimentieren mit der neuen Kommunikationskompe-tenz und suchen noch den für sie richtigen Weg. Ihre Richtung ist jedoch klar er-kennbar. Das neue Konzept mündet in der Rücknahme staatlicher Autorität und in der Förderung der Selbstregulierungskräfte eines familiären Konfliktes. Im Vorder-grund steht die Hilfe zur Selbsthilfe. Autorität soll nur noch subsidiär dort zur An-wendung kommen, wo die Selbstheilungskräfte der Parteien versagen. Der Weg dorthin ist die Förderung der Autonomie nicht nur der Parteien, sondern auch der anderen Beteiligten, wie etwa der Rechtsanwälte, der Jugendamtsmitarbeiter und der Mitarbeiter der Beratungsstellen. Diese Berufsgruppen haben übrigens parallel zu dem Justizprojekt die Möglichkeit, eine adäquate, der richterlichen Fortbildung entsprechende Ausbildung zu absolvieren .

Arthur Trossen, RTA (Resident Twinning Advisor) und
Ralf Käppele, Fachanwalt für Familienrecht,
beide Vorstand integrierte Mediation e.V.