Anlässlich des EU Projektes EuroNetMed wird das Thema „interkulturelle Mediation“ sehr intensiv diskutiert und zwar anhand der Frage: Braucht der Mediator Kenntnisse über die kulturellen Hintergründe seiner Medianden? Die Frage wird durchaus streitig diskutiert. Die Einen sagen ja, er braucht diese Kenntnisse. Die Anderen sagen, nein, er braucht sie nicht. Eine differenzierte Antwort ist die richtige.
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass wir in dem Projekt „EuroNetMed“ die Cross Border Mediation als internationale und / oder interkulturelle Mediation beschreiben, obwohl der Begriff der interkulturellen Mediation falsch und irreführend ist.
Ausgangsidee ist die Erkenntnis, dass die kulturelle Zugehörigkeit einen wesentlichen und prägenden Teil des Menschen ausmacht. Die Forschung belegt, dass sich diese Unterschiede nicht nur im Verhalten, sondern auch im Denken und in der Wahrnehmung auswirken. So sind beispielsweise die Feldabhängigkeit und die kognitive Differenziertheit in systematischer Weise von den Lebensbedingungen innerhalb der jeweiligen Kulturen abhängig. Festzustellen ist somit:
Es gibt KEINE Konflikte OHNE kulturelle Einflüsse.
Die interkulturelle Mediation unterscheidet sich von einer innerkulturellen Mediation dadurch, dass sie sich auf die Unterschiedlichkeit von Kulturen einzulassen hat. Wenn wir die Mediation als einen Verstehens- und Vermittlungsprozess begreifen, kommt es maßgeblich darauf an, dass der Mediator mit dieser Unterschiedlichkeit umzugehen weiß. Dieser Umstand legt es nahe, dem Mediator eine besondere Kompetenz zu unterstellen.
Die kulturmehrheitliche Mediation
Im Umgang mit Kulturen gibt es verschiedene Konzepte, das multikulturelle, das interkulturelle und das transkulturelle Konzept.
- Bei dem Multikultur-Konzept erscheint das Kulturverständnis der involvierten Kulturen als gegeneinander definiert und abgegrenzt. Die Kulturen werden voneinander getrennt wahrgenommen und oft hierarchisiert.
- Bei dem Interkultur-Konzept werden die Kulturen als ethnische Einheit verstanden. Die Abgrenzung lässt jedoch infolge eines kulturellen Austausches Überschneidungen zu und erlaubt Veränderungsprozesse.
- Bei dem Transkultur-Konzept wird die Abgrenzung der Kulturen untergeordnet. Statt Isolierung geht es um Verflechtung, Durchmischung und Gemeinsamkeit.
Die Medianden müssen sich darüber klar werden, dass und welche kulturellen Unterschiede es gibt und wie sie mit ihnen letzten Endes umgehen möchten. Es ist deshalb in einer Mediation vorab zu klären, worauf sie sich einlassen wollen und können.
Schon die begriffliche Einführung verdeutlicht, dass die interkulturelle Mediation einige Besonderheiten aufweist gegenüber der innerkulturellen oder kultureinheitlichen Mediation. Da die Konzeptuierung ein Teil des in der Mediation zu erarbeitenden Lösungsansatzes ist, der es den Parteien offen lassen soll, wie sie die Unterschiede – wenn es denn darauf ankommen sollte – verarbeiten. Sie haben die Auswahl zwischen den genannten Konzepten. Vor dem Hintergrund erscheint die Verwendung des Begiffes „interkulturelle Mediation“ bedenklich. Terminologisch zutreffender ist es, von einer kulturmehrheitlichen Mediation zu sprechen und diese gegenüber der kultureinheitlichen Mediation abzugrenzen. Für die kulturmehrheitliche Mediation wurde der Begiff der „kultursensiblen Mediation“ eingeführt. Nachdem wir aber festgestellt haben, dass JEDER Konflikt kulturabhängig ist, gibt es eigentlich keine andere Mediation als die kultursensible Mediation. Der als gegensätzlich verwendete Begriff der kulturneutralen Mediationmacht die terminologische Ungenauigkeit noch deutlicher. Denn es gibt keine kulturneutrale Mediation, wohl aber eine kultureinheitliche Mediation. Der Unterschied einer kulturmehrheitlichen zu einer kultuereinheitlichen Mediation besteht nun darin, dass bei der kulturmehrheitlichen Mediation die Beachtung kultureller Differenzierungen mehr in den Vordergrund rückt. Mithin zeichnet sich diese Form der Mediation dadurch aus, dass sie kulturspezifische Elemente oder besser gesagt einen kulturspezifischen Umgang offensiv in das Verfahren einbezieht.
Braucht der Mediator eine interkulturelle Kompetenz?
Kommen wir zur Kern- und Ausgangsfrage. Diese bezieht sich nicht auf die Frage, welche Elemente in einer kulturmehrheitlichen Mediation einzubeziehen sind. Das ist ein Thema für einen weiteren Beitrag. Er würde die Techniken beschreiben, mit denen eine derartige Mediation anzureichern ist. Hier geht es aber um das Denken und das Verstehen, also um den eigentlichen Vermittlungsprozess. Insoweit ist festzustellen, dass die Mediation, repräsentiert durch den Mediator, eine besondere Sensibilität für kulturelle Differenzierungen aufzuweisen hat. Die kulturellen Differenzierungen können sich im Verhalten niederschlagen, in Gesten, in Wertezuschreibungen (Attributionen) und nicht zuletzt im Denken und in der Wahrnehmung. Wenn es dem Mediator darauf ankommt, diese Unterschiedlichkeit zu verstehen und herauszuarbeiten, muss er in der Lage sein, sie wahrzunehmen. Die Frage ist also berechtigt: Benötigt der Mediator spezifische Kenntnisse über die Kulturen, denen die Medianden angehören oder nicht?
Ich denke, es besteht Einigkeit darüber, dass der Mediator in der Lage sein muss, die Unterschiede herauszuarbeiten. Ohne diesen Schritt wäre eine auf gegenseitiges Verständnis aufbauende Mediation kaum denkbar.
Ebenso wie viele andere international tätige und erfahrene Mediatoren vertrete ich die Auffassung, dass spezifische Kenntnisse über die andere Kultur nicht ohne Weiteres hilfreich sind. Ich betone, dass dies für die Mediation, nicht etwa für die geschäftliche oder vertragliche Verhandlungen gilt.
Dazu ein Beispiel: Bulgaren neigen dazu, zu nicken, wenn sie „nein“ meinen. Es verwirrt, wenn Sie mit einem Bulgaren verhandeln, der ständig nickt. Bei Verhandlungen richten Sie sich auf das vermeintliche Einverständnis ein und formulieren Ihre Ausführungen dementsprechend. In der Mediation verläuft der Prozess jedoch anders. Dem versierten Mediator wird auffallen, dass die Körpersprache nicht zu dem Denken und den Aussagen passt. Er wird dies verbalisieren und eine Klärung herbeiführen.
Was der Mediator wissen muss ist die Tatsache, dass es kulturelle Abweichungen gibt und wie diese sich auswirken können. Er muss wissen, wo die kulturellen Besonderheiten seiner eigenen Kulturzugehörigkeit, um diese neutralisieren zu können. Er muss die Beobachtungen wie ein kleines Kind naiv und unwissend angehen. Nur dann hat er die Chance, die notwendigen „dummen“ Fragen zu stellen und die Bedeutung des Wahrgenommenen zu hinterfragen.
Dass dies und wie dies gelingt, belegt eine kulturmehrheitliche Mediation, die ich vor einiger Zeit mit einem Deutsch-Chinesischen Ehepaar druchzuführen hatte. Der Mann, ein Deutscher, hatte den Fehler gemacht, dass er während eines Asienaufenthaltes mit Kollegen in eine Nachtbar ging und dort gewisse Dienste in Anspruch genommen hatte. Er hat dies seiner Frau, eine Chinesin, berichtet. Sie reagierte für ihn unerwartet mit dem Scheidungswunsch. In diesem Fall treffen verschiedene Wertungen aufeinander. Dazu müssen wir nicht einmal ins Ausland gehen. Der Mann könnte ähnliche Probleme mit seiner deutschen Frau bekommen. Es geht also dort wie hier darum, die unterschiedlichen Sichten und Bewertungen herauszustellen und nachvollziehbar zu machen – was immer die Parteien dann damit anfangen. Da ist die Sichtweise des Mannes, der wegen des Halo-Effektes (Wahrnehmungsphänomen) gar nichts böses getan haben will. Die Situation mit den Kollegen usw. hat ihn dazu veranlasst so zu handeln, wie er es gatan hat. Im Gegenteil, er fühlte sich sehr konstruktiv in seiner Beziehungsarbeit, weil er doch den Fehltritt seiner Frau offenbarte. Deren Reaktion war für ihn dann völlig unverständlich und wirkte überzogen. All seine Entschuldigungen gingen ins Leere und er wusste sich keinen Rat mehr. Eine Scheidung war das Letzte was er wollte. In der Mediation hat sich herausgestellt, dass es der Frau nicht um die Schuldhaftigkeit des Verhalten ihres Mannes ging. Sie fühlte sich entehrt. Das ergab ein längerer Dialog, bei dem der Mediator einfach nur nachvollziehen wollte, warum der Fehltritt des Mannes eine so verheerende Wirkung auf die Frau hatte. Wohl bemerkt: das hätte der Mediator auch getan, wenn die Partei eine deutsche gewesen wäre. Im beschriebenen fall konnte er mit dem Hinweis auf den Ehrverlust jedoch etwas anfangen. Ehrverluste fallen in die dritte Konfliktdimension. Sie haben mit Gesicht und Prägung zu tun und gehen meist sehr tief. Während sich eine Schuld sühnen lässt, ist ein Ehrverlust nicht durch eine Entschuldigung zu reparieren. Noch vor nicht allzu langer Zeit war es auch in unserer Kultur üblich, die Ehrverletzung im Wege eiens Duells mit dem Tode auszugleichen. Konseuquent meinte die chinesische Frau deshalb, dass ihre Ehre nur durch einen anderen Mann wieder hergestellt werden könnte. In der Mediation jedenfalls konnte die Erkenntnis erarbeitet werden, dass es nicht um Entschuldigung geht, sondern um die Wiederherstellung der Ehre. Nun war dies – wohl auf die chinesiche Kuktur bezogen – gar nicht möglich und nur mit der Scheidung zu korrigieren. Die Chinesin betonte auch – dem Mann vorwerfend – dass er seinen, bei der Hochzeit abgelegten Schwur, mit der Frau durch dick und dünn zu gehen damit verletzt habe und dass deshalb die Scheidung eine einzige und schlüssige Konsequenz sei. Der Mediator erkundigte sich daraufhin bei der Frau und fragte, ob sie den Schwur denn auch geleistet habe. Diese Frage wurde bejaht. Dann erkundigte sich der Mediator was denn diese hier zu bewertende Situation bezogen auf den Schwur bedeute, ob es sich hier um dick oder dünn handele. Die Frau antwortete, indem sie erkannte, dass sie auch eine Verantwortung in der Beziehung trage. Der Fall konnte dann einvernehmlich gelöst werden. Die Scheidung war vom Tisch.
Später erst habe ich erfahren, dass der Gesichtsverlust für Chinesen eine besondere Schande bedeutet. Ich denke aber, das ist in jeder Kultur so. Nur der Anlass, was zur Schande gereicht und was nicht, wird sich unterscheiden. Gerade vor dem Hintergrund – wie in dem beschriebenen Fall – dass viele Parteien zwar von Geburt und ihrer etnischen Herkunft einer Kultur zugeordnet werden können, tatsächlich aber in anderen Kulturen aufgewachsen sind, könnte es zu einem verfäschenden Schubladendenken führen, wenn solche Schablonen über die Partei gestülpt werden. Es allenfalls nur dann hilfreich, wenn der Mediator die Fähigkeit nicht besitzt, sich auf die Menschen entsprechend einzustellen. Das Phänomen ist vergleichbar mit der Körpersprache. Ich beobachte, wie in Kommunikation geschulte Gesprächspartner mit ihrem Gegenüber plötzlich zu streiten anfangen, was ihre Körpersprache bedeutet haben mag. „Sie haben die Arme verschränkt, also zeigen Sie ein abweisendes Verhalten!“. Dieser Mediator übersieht, dass ein Verschränken der Arme nicht immer und ausschließlich ein abweisendes Verhalten bedeutet. Es kann sogar das Gegenteil bedeuten und Ausdruck von seiner Konzentrationsbereitschaft sein oder einfach eine bequeme Haltung.
Vorsicht also mit Schalblonen und Schubladen.
Weiter kommt man mit einer besonders hohen Fertigkeit in der Mediation, der dazu notwendigen Wahrnehmung und der eigenen Reduktion auf den Stand eines unschuldigen und wertfreien Kindes, das stets „dumme“ Fragen stellt und sich für alles interessiert, auch dann wenn es eigentlich doch offenkundig und selbstverständlich erscheint.
„Mama, warum geht morgens die Sonne auf?“
„Stell nicht so dumme Fragen! das ist halt so.“
Lieber Arthur,
ganz herzlich danke ich Dir für diesen Beitrag, der das wichtige Thema unserer kulturellen Vielfalt aufnimmt und teilweise derer Auswirkung auf die Konflikte, ja auch die Mediation anspricht.
Wie sich unseres Konfliktverhalten, unsere Kommunikation und ein Schritt davor auch die Wahrnehmung gestalten, ist von vielen Faktoren abhängig und sehr komplex (betrachten wir z.B. den Dreieck: Persona, Kultur, Situation oder Natur/Biologie). Kultur stellt daher einen dieser Faktoren dar und dynamisch betrachtet – wie „ein Fluss von Bedeutungen, der fortwährend alte Beziehungen auflöst und neue Verbindungen eingeht“ (Zukrigl, Breidenbach) – kann nur tendenziell auf Wertesysteme, Kommunikationscode und Verhaltensweisen hindeuten. Kommuniziert der Mediant „laut“ (da relativ) oder erwirbt er das Rederecht eher durch Zuweisung? Wird die Mediantin in ihrer Sprache präzise, direkt und explizit oder spricht sie eher im hohen Kontext, aus dem für den explizit kommunizierenden Menschen viel unklar und zunächst interpretiert werden muss? Die verbale, die nonverbale und auch die paraverbale Kommunikationsarten haben sich kulturell unterschiedlich entwickelt. Als bekanntes Beispiel möge der „ehrliche“ Blickkontakt versus das respektvolle Hinschauen auf den unteren Bereich des Gesichts.
Ein interkulturell kompetenter Mediator weiß diese „Eigenarten“ zu identifizieren und ihnen wertschätzend zu begegnen; als auch in vielen Situation der Tendenz zur Kulturalisierung des Konflikts zu entgehen, u. a. im Bewusstsein der kulturellen Komplexität und auch der pluralen Identitäten eines jeden Menschen (sich selbst eingeschlossen).
Vor diesem Hintergrund gilt es für den Erwerb der interkulturellen Kompetenz zu plädieren. Es ist ein lebenslanger Lernprozess und – wie ich in meiner Mediationspraxis und Forschung erkennen kann – die
Bündelung der mediativen und interkulturellen Kompetenzen ein besonderer Weg, um (1) den dritten Raum zu schaffen, indem die Medianten mit allen ihren Eigenarten und Wünschen quasi kulturübergreifend angenommen werden und (2) an eigenem Selbstbild und eigenen Fähigkeiten zu arbeiten. Ganz nach dem Motto: „Will ich das Fremde verstehen, so muss ich zuallererst mich selbst begreifen“.
Ein schönes Weihnachtsfest wünscht, Katarzyna
Der oben geschilderte Fall erinnert mich an zwei Fälle, mit denen ich zu tun hatte. Die Frauen waren aus den Phillippinen und Thailand und die Männer jeweils aus Deutschland. Die Konflikte lagen dort nicht in den kulturellen Unterschieden, sondern in den (falschen) Vorstellungen der jeweils anderen Kultur, bzw. den daraus vorgestellten anderen Eigenschaften des jeweiligen Partners. Da diese falschen Vorstellungen Grundlagen der Partnerschaften waren, nahmen sie zum Teil tragische Verläufe.
Die spannende Frage ist: War das dann ein interkultureller Konflikt? Ich denke nein. Es war ein ganz normaler Beziehungskonflikt, bei dem die Missverständnisse durch Kulturdifferenzen ausgelöst wurden. Dass sich Eheleute grundsätzlich missverstehen ist doch auch im innerkulturellen Setting ganz normal ;-). Tatsächlich gibt es nur wenige Konflikte, die wirklich durch Kulturunterschiede veranlasst sind. Dabei geht es um nichtkompatible Werte. Nicht lediglich um Missverständnisse.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
zum Thema der „Interkulturellen Mediation“ möchte ich anmerken, dass es nicht nur zwischen Nationalitäten, sondern insgesamt zwischen Menschen immer eine interkulturelle Kommunikation und damit dann auch eine Mediation gibt. Kultur ist meiner Meinung nach das, was wir an Werten und Normen von unseren Vorfahren, also auch unserer Familie mit auf den Weg bekommen haben.
Dazu zählt im Übrigen auch ein gewisses Rollenverhalten als Mann und Frau!
Werte und Normen bilden unsere Kultur, damit ist jede Kommunikation gleichzeitig ein Austausch zwischen den Kulturen.
Sicherlich werden viele kulturelle Unterschiede in einer Nation relativ gering sein, doch auch minimalste Unterschiede müssen bedacht werden.
Daher ist für mich eigentlich jede Mediation auch ein Stück(chen) weit eine interkulturelle Mediation. Daher ist es auch nicht so wichtig, ja, fast unmöglich, jede Kultur-Nuance zu kennen.
Ich finde, dass man die Unterschiede als solche akzeptieren sollte, denn sie sind ein Teil der Vielfalt unserer gesamten Menschheit.
Wir müssen diese Unterschiede nicht immer hinterfragen, denn darin kann schnell eine Bewertung liegen, die der Mediator ja vermeiden sollte. Akzeptieren wir sie, und kümmern uns am besten nur um die wirklich konfliktrelevanten Anteile.
Einen schönen Nikolaustag wünscht
Patric Illigen (Schiefen)