Schon der Titel dieses Beitrages hat etwas Aufschreckendes. Ist das Rassismus? Es ist wohl eine Vorstufe. Es geht um Vorurteile, die an ihrem Effekt gemessen werden. Man versucht deren Ursache zu ergründen. Der Titel beschreibt eine Studie, die genau so genannt wurde. Eine, diese spannende Studie vorstellende, Schlagzeile des Pressedienstes der Universität Bielefeld lautet wörtlich: „Bielefelder Konfliktforscher sehen anhaltend menschenfeindliche Situation in Deutschland“.
Der Beitrag ist in vielerlei Hinsicht interessant und wird deshalb hier vorgestellt. Schon die Befassung mit der interkulturellen Mediation macht das Thema einschlägig. Der Beitrag beschreibt ein gesellschaftliches Phänomen der Gegenwart und wie Menschen damit umgehen. Das wiederum beschreibt ein Verhalten, das uns Mediatoren sehr gut bekannt ist. Man könnte den Beitrag auch nennen: Der Hintergrund für Vorurteile; oder: die gesellschaftlchen Auswirkungen einer Interessen- und bedürfnisorientierten Wahrnehmung; oder: was passiert, wenn man das Kind nicht beim Namen nennt und die eigentlichen Bedürfnisse nicht anspricht. Ein Mangel an Sicherheit führt zu einem Abgrenzungsbedarf. Das ist die Ich-Botschaft und die wirkt sich diskriminierend aus. Die lesenswerte Pressemitteilung von Ingo Lohuis vom 12.12.2011 hat folgenden Wortlaut:
Ergebnisse …
„Ergebnisse der Langzeitstudie zu ‚Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit‘ vorgestellt
Die Menschen in Deutschland haben zunehmend das Gefühl, dass die Politik die Probleme des Landes nicht mehr regeln kann. Das hat Konsequenzen für die Meinungen über schwache Gruppen, denn sie werden zuerst Opfer der negativen Beurteilung der Lage. Die Abwertung von Obdachlosen, Arbeitslosen und Behinderten, aber auch die Fremdenfeindlichkeit steigen erneut an. Auch und besonders Besserverdienende grenzen sich vermehrt von ärmeren Mitgliedern der Gesellschaft ab, und Engagement und Solidarität werden immer stärker danach bemessen, ob sie sich auch wirtschaftlich lohnen. Das sind zentrale Ergebnisse der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (GMF) des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Die Studie hatte eine Laufzeit von zehn Jahren. Die Professoren Dr. Wilhelm Heitmeyer und Dr. Andreas Zick ziehen zusammen mit ihren Mitarbeitern am heutigen Montag in Berlin das Fazit und stellten den zehnten und letzten Band der Reihe „Deutsche Zustände“ vor, in dem sie die Ergebnisse veröffentlichen.
Hinter dem Konzept „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ steckt die Auffassung, dass Menschen andere Menschen abwerten, weil sie zu bestimmten Gruppen gehören, etwa, wenn sie aus einem anderen Land kommen, einer anderen Religion angehören, körperlich einge-schränkt oder wirtschaftlich besser- oder schlechter gestellt sind. Die Bielefelder Forscher gehen davon aus, dass Vorurteile gegenüber unterschiedlichen Gruppen ein Syndrom der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ bilden, in dessen Zentrum eine Ideologie der Ungleichwertigkeit steht – also die Grundidee, dass sich jemand als Mitglied einer bestimm-ten Gruppe aufwertet, indem er Angehörige anderer Gruppen als weniger wert ansieht. Das Forschungsprojekt ist die weltweit größte Vorurteilsstudie, sowohl durch die zehnjährige Laufzeit als auch aufgrund der präzisen Unterscheidung verschiedener Vorurteile und ihrer Ursachen. Seit 2002 findet jährlich eine telefonische Befragung einer repräsentativen Auswahl der deutschen Bevölkerung statt. Im Mai und Juni 2011 wurden 2.000 Personen zu ihren Ansichten und Einschätzungen befragt.
In der abschließenden Untersuchung ihrer Daten des vergangenen Jahrzehnts befassen sich die Bielefelder Forscher damit, wie sich Vorurteile unter Menschen in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt entwickelt haben. So analysieren sie, welche Faktoren maßgeblich sind, um Vorurteile unter den Deutschen zu erklären. Sie gehen auf die Frage ein, welche politischen Absichten Personen mit rechtspopulistischen Einstellungen haben, und sie versuchen, zu erklären, inwieweit die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland zu Orientierungslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit führt. Darüber hinaus gehen die Wissenschaftler in dem neuen Buch auf aktuelle Problemlagen und Mechanismen ein, die mit Abwertung und Diskriminierung von schwachen Gruppen im Zusammenhang stehen.
Insgesamt beschreiben die Forscher vom IKG das zurückliegende Jahrzehnt als „entsichert“, richtungslos und instabil. Der Verlust von Sicherheit sei demnach in allen zentralen Lebensbereichen erfahrbar: im politischen, sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Bereich, ebenfalls im Bereich der Lebensstile. Der Zustand der Unsicherheit ist nach Ansicht der Forscher zur neuen Normalität geworden. Mit Blick auf die Folgen für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit könne dieser Zustand als eine „explosive Situation als Dauerzustand“ (Wilhelm Heitmeyer) beschrieben werden. Ereignisse mit Signalwirkung für diese Veränderungen sind laut den Forschern der 11. September 2001 mit seinen Folgen für die Islamfeindlichkeit, die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 oder auch die Krisen seit 2008 (Finanz-, Wirtschafts-, Fiskal-, und Schuldenkrise).
Das interdisziplinäre Institut für Konflikt- und Gewaltforschung ist Teil des Forschungsschwerpunkts „Menschliche Entwicklung, Konflikt und Gewalt“ (Human Development, Conflict and Violence) der Universität Bielefeld. Der Schwerpunkt befasst sich mit den komplexen Vorgängen sozialer Konflikte und Gewalt und umfasst dabei unter anderem soziale Zusammenhänge und Institutionen, die menschliches Dasein und menschliche Entwicklung in verschiedenen Gesellschaften und Kontexten prägen.
Als Kontaktadresse wird angegeben: Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer
Universität Bielefeld, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), Telefon: 0521 106-3164 (Sekretariat 106-3162), E-Mail: sowie Prof. Dr. Andreas Zick, Universität Bielefeld, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), Telefon: 0521 106-2442 (Sekretariat 106-6917), E-Mail: “
Mehr über diese spannende studie findet man hier: http://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Einrichtungen/Pressestelle/dokumente/BI_research/30_2007/Seiten%20aus%20Forschungsmagazin_1_07_15_19.pdf
Was sagt uns die Studie? Konflikte mit interkulturellem Hintergrund nehmen zu und es wird in Zukunft Arbeit für Mediatoren mit entsprechenden Kompetenzen geben! Und dabei ist die Studie nur die Hälfte der Geschichte. Sie kümmert sich nach erster Durchsicht offenbar einseitig um rechtspopulistische Fragestellungen. Die linkspopulistischen Themenkreise werden nicht beleuchtet, obwohl klar auch hier eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gemäss Definition vorliegt. Warten wir also auf die nächste Studie, die eine umfassende Analyse macht, damit wir ein Gesamtbild erhalten. Stellt sich nach wie vor die Frage nach der Notwendigkeit interkultureller Kompetenz eines Mediators.
Wer kann eine Mediation machen, in der es darum geht, dass der Ehemann seine Frau permanent verprügelt und sie einigen sich darauf, dass er sie nur noch einmal pro Monat verprügelt? Wer kann eine solche Mediation durchführen und mit einer Vereinbarung abschliessen? Wer bricht die Mediation ab?
Wie sieht es im interkulturellen Kontext aus, wenn es um Homophobie in einer Mediation zwischen einem Vater und dessen schwulen Sohn geht? Wenn der Mediator ein bibelfester Katholik ist? Oder umgekehrt, wenn er selber schwul ist? Oder in einer Mediation zwischen einer islamophoben Mutter und deren zukünftigen muslimischen Schwiegersohn? In einer Mediation mit einem Anarchisten? Einem Medianden, der den Kommunismus wiederherstellen und den Kapitalismus überwinden will?
Laut Studie würde in diesen Fällen eine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ vorliegen. Können wir in all diesen Fällen unsere eigenen Wertevorstellungen zurückstellen und als Mediator völlig wertefrei und ungeachtet unseres eigenen kulturellen Hintergrundes arbeiten? Können wir eine Mediation durchführen und mit einer Vereinbarung abschliessen, die unseren eigenen Grundeinstellungen völlig widerspricht? Oder müssen wir unserem eigenen Menschenbild und unseren Vorstellungen der Gesellschaft treu bleiben und interkulturelle Mediationen in solchen Situationen ablehnen?
Ich plädiere für eine umfassende Denkweise des Mediators (Sapere aude – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!, Immanuel Kant), eine eigene Beurteilung und ein Verzicht auf Mediationen, die den eigenen Welt- und Wertevorstellungen völlig widersprechen.
Fehlt eine Bestimmung im Verhaltenskodex, wonach ein Mediator auf eine Mediation verzichtet, wenn eine Partei seinen eigenen moralischen und ethischen Überzeugungen vollständig widerspricht?