VI) a) Unser Rechtssystem am Scheideweg?
Mir wird immer klarer, dass es eigentlich nur unser demokratisches Staatssystem fertigbringen konnte, wenige Leute (hier die Mitglieder des Vermittlungsausschusses) in die prekäre Lage zu bringen, über die Grundlagen unseres Rechtswesens zu entscheiden (oder sich davor zu drücken). Zuvor war es der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, der sich offensichtlich im Wald der anstehenden Probleme verirrte und wo jeder nur noch verzweifelt darauf aus war, dass wenigstens der Baum gefällt wird, der zum Einheizen und Erwärmen seines Wahlvolks als ausreichend angesehen wird.
Und was ist mit dem Wald?
Da kann ich nicht schweigen, auch wenn mir das den Ruf des oberlehrerhaftesten Oberlehrers aller Zeiten einbringen wird. Die geneigte Leserschaft bitte ich, sich jetzt in eine bequeme Sitzposition zu begeben.
Worum geht es?
In der für mich halbwegs überschaubaren Rechtsgeschichte in Europa (und damit schließe ich auch auf die in allen Ländern dieser Welt), war Recht immer nur ein Mittel zur Erlangung von Macht, oder dieselbe zu erhalten.
Und „Gerechtigkeit“? Was kümmert es den Mächtigen – außer, wenn sie glauben, solche zu ihrem Nutzen ausüben zu können. Und wir klatschen dabei noch!
Oder sind Sie, verehrte Leserschaft, nicht auch immer noch begeistert vom „Salomonischen Urteil“?
Niedergeschrieben ist es in der Bibel (1. Könige 3, 16 ff. – bitte lesen, es sind nur 51 Halbzeilen). Als ich erstmals von dieser Geschichte erfuhr, war ich etwa 7 Jahre alt, saß als Kinderkirchenschüler in einer sehr alten und kalten Kirche und mir hat sich fast der Magen umgedreht, als die Kinderkirchenlehrerin meinte, dass das, was da passiert sei und wie es ausgegangen ist, nur der grandiosen Weisheit von Salomon zu verdanken sei.
Waas (?), sagte ich ich zu mir (öffentlicher Widerspruch war angesichts meines Alters und der damaligen Zeit nicht angebracht), also: waas? der bedroht die beiden Mütter damit, ein Kind quasi zu schlachten, nur um heraus zu bringen, wer die Mutter sei? Wäre das dem Kind nicht piepegal gewesen?
Erst viele Jahre später, als ich schon Jurist war, habe ich mich nochmals mit dieser Geschichte beschäftigt und möchte das weiter geben, was mir aufgefallen ist. Der Text der Bibel (also 1. Könige 3, Vers 16) beginnt so: Überschrift: „Salomons Urteil“ und dann: „ 16 Zu der Zeit kamen zwei Huren zum König und traten vor ihn.“ Der Text endet so: „28 Und ganz Israel hörte von dem Urteil (Anm. meinerseits: die eigentliche Mutter hat das Kind bekommen, weil sie bereit war, es herzugeben), das der König gefällt hatte, und sie fürchteten den König; denn sie sahen, dass die Weisheit Gottes in ihm war, Gericht zu halten.“
„ G e r i c h t z u h a l t e n,“
Und jetzt braucht man nur noch zwei Zeilen weiter zu lesen, da kommt man nämlich auf Kapitel 4, das so beginnt: „ So war Salomo König über ganz Israel.“
War das jetzt eine Kritik an Salomons Urteil?
N E I N !
Na gut, an der Art und Weise der Wahrheitsfindung könnte man mäkeln. Auch daran, dass der König exemplarisch seine Rechtsprechungsweisheit ausgerechnet an Huren ausgetobt hat – oder war das wichtig? Das lasse ich hier einmal so stehen.
Mir kommt es hier auf etwas anderes an. Und jetzt muss ich wieder einen Anlauf nehmen. (Bitte bleiben Sie auf Ihrem Sofa sitzen).
Salomon hatte es ja eigentlich recht kommod. Immerhin war er schon König, als er um eine Entscheidung angerufen wurde. Jetzt stellen Sie sich aber vor, Salomon hätte nicht die geringste Macht gehabt (kein dicker fetter – ach, was sage ich da – dünner gelenkiger – Kerl, der bereit gewesen wäre, auf seinen Befehl hin, ein kleines Kind durch einen Hieb in zwei Teile zu schlachten). Oder aber, die Streitparteien wären keine Huren gewesen, sondern beide nahe Verwandte des Königs (äh .. ja).
Dann wäre es ihm sicherlich wohl nicht viel anders ergangen, als dem Psychologen, der vom Gericht beauftragt wurde, eine „einvernehmliche Vereinbarung“ zwischen einem „Ehe“paar über das Sorgerecht des Sohnes (ca. 8 oder 9 Jahre alt) herbeizuführen, der massiv alles an den Tag legte, was man heute als Aufmerksamkeitsdefizit – Hyperaktivstörung (ADHS) benennen würde. Oder anders gesagt, der Sohn war völlig aus dem Ruder gelaufen.
Ich hatte die Ehre, beim Gespräch als Hospitant (was nichts anderes heißt als: Maul halten!) dabei sein zu dürfen.
Das Paar stritt sich heftig über das, was jetzt dem Wohle des Kindes am besten zuträglich sei und was die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater, bzw. auf die Mutter, unbedingt notwendig machen würde.
Die Mutter erzählte, dass sie wisse, wie ihrem Sohn am besten zu helfen sei. Sie wäre sich mit dem Facharzt einig, dass die Vergabe von Ritalin hier die einzige Möglichkeit sei. Sie möchte das alleinige Sorgerecht, weil das die einzige Möglichkeit sei, diesbezüglich frei handeln zu können.
Der Vater vertrat dagegen eine ganz andere Ansicht. Er war sich sicher, dass dem Sohn nur Zuwendung und Liebe fehlen würde, und er das umständehalber ohne weiteres erbringen könnte. Somit der Sohn bei ihm bleiben muss.
Was macht nun der von mir höchst geschätzte (!) Psychologe in seiner unnachahmlichen Art? Er versucht zu helfen! Er erzählte eine Geschichte (schließlich wollte er den „Fall“ ja „lösen“). Nicht die vom Salomon, sondern die vom Kaukasischen Kreidekreis, in der sich Berthold Brecht plagiierend verstiegen hat, die Entscheidungsgewalt über die wirkliche Mutterschaft einem kleinen verschmizteten Lebenspraktiker, seines Zeichens ein schlauer Dorfschreiber, (Azdak – s. Google) übertrug. Das Ergebnis dieser Geschichte ist allerdings, dass das Kind nicht der leiblichen Mutter zugesprochen wurde, sondern der Magd, die das Kind wirklich geliebt hat.
Das ist aber in unserer Sitzung weder der Mutter, noch dem Vater, auch nicht dem Psychologen und von mir überhaupt nicht zu sprechen, aufgefallen. War es wichtig, dass ein Kind per Schwert zerteilt, oder von den eigenen „Müttern“ auseinander gerissen werden sollte?
Die Mutter in unserer Sitzung ist jedenfalls mit hochrotem Kopf und schimpfend raus gelaufen. Fast. Bis zur Türe, die sie schon aufgerissen hatte. Da habe ich doch meinen Mund auf gemacht.
Und was hat das alles, was ich heute geschrieben habe, mit dem Gesetz zur Förderung der Mediation … , mit unserer Rechtsordnung und mit der Integrierten Mediation zu tun?
Ich werde bemüht sein, es Ihnen und Euch aus meiner Sicht zu erklären. Aber gerade eben hat sich meine letzte Zigarette (wie es seit neuester Zeit Recht ist), selbständig erloschen. Deshalb muss ich auf meine Fortsetzung verweisen.
Was bisher geschah:
- I) Die „Debatte“
https://www.in-mediation.eu/mediationsgesetzdebatte#more-14170 - II) Der Güterichter als Rechtsbrecher?
https://www.in-mediation.eu/gueterichter#more-14298 - III) Die Mediation in der Resteverwertung
https://www.in-mediation.eu/gesetz-zur-forderung-der-mediation#more-14427 - IV) Intermezzo?
https://www.in-mediation.eu/gesetz-zur-forderung-der-mediation-2#more-14534 - V) Der Richter als gütiger Berater
https://www.in-mediation.eu/gesetz-zur-forderung-der-mediation-3#more-14635
Und für das nächste Mal auf der Merkliste:
- Brauchten Menschen einen Salomon?“.
- Bedarf Gerechtigkeit der Wahrheitsfindung?
Für StreberInnen empfehle ich, schon mal 1. Mose, Kapitel 27 voraus zu lesen.
Wir brauchen das, für Erbschaftsmediationen.
Euer Oberlehrer 😉
Werter Kollege Bohnet,
Salomons Schwert bedeutet nicht das Schwert aus dem Waffenladen sondern das Schwert des Geistes, mit dem komplizierte Zusammenhänge geklärt werden können. Im in 1. Könige 3, 16-28 geschilderten Fall kann man nur sagen:
Nachgedacht, gehandelt, Ziel erreicht. Wenn wir Ziele nicht erreichen, haben wir womöglich versäumt nachzudenken. Salomons Liebe zur Wahrheit hat ihn dazu gebracht nachzudenken. Und, er hat sich sogar bei Huren die Mühe gemacht. Was lernen wir daraus?
Schöne Grüße aus dem Schwarzwald