Das geplante Verbraucherstreitbeilegungsgesetz ( VBSG): Ein Kessel Buntes…

Europaweit ist es das gleiche, begrüßenswerte Phänomen Der grenzüberschreitende Dienstleistungs- und Warenverkehr wird immer umfangreicher und immer schneller. Mitunter ist nur noch an den anfallenden Überführungs- oder Versandkosten zu erkennen, ob ein Produkt oder eine Dienstleistung in Portugal, Deutschland, Litauen oder Griechenland geordert (oder ersteigert) wird. Das schafft bei den Anbietern Konkurrenz, verbessert oft die Produktqualität und eröffnet immense Chancen – auch für kleinere Unternehmen, seien sie seriös, dubios oder gar kriminell.


Ebenfalls europaweit ist es das gleiche Problem: Mit steigender Anzahl von (online-) Dienstleistungs- und Kaufverträgen steigt auch die Zahl der darauf basierenden oder daraus resultierenden Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmen. Das staatliche Streitentscheidungsmonopol liegt beim Staat – in Form der Ziviljustiz – und die bildet in aller Regel einen Kontrapunkt zum Warenverkehr. Sie ist in den EU-Mitgliedsstaaten eher behäbig oder lässt sich nicht gerne gängeln, Gesetze und Richter verstehen die technischen Entwicklungen nicht, nur schwer oder hinken der technischen Entwicklung schlichtweg hinterher: Schließlich hält Justizia idealiter eine Waage mit güldenen Schalen in der Hand, die sie behutsamst bedient.

Unter diesem Missstand leidet insbesondere die deutsche Ziviljustiz – als primus inter pares bekannt für unabhängige, beste Produktqualität, wenn auch besonders kostenintensiv und mit langen Bestell- und Lieferzeiten. Der Zivilrechtsweg ist tendenziell innovationfeindlich – schließlich gehört die Zivilprozessordnung zu den „Reichsjustizgesetzen“, die unter Bismarck `scher Ägide Anfang Oktober 1879 in Kraft traten – und wesentlich zur Vereinheitlichung des Rechts im rechtlich zersplitterten Deutschen Kaiserreich (1871 – 1918) beigetragen haben. Im Grunde genommen ist die ZPO als „Mutter aller Prozessordnungen“ eine Perle der Jurisprudenz: Sie hat sich über weit mehr als 130 Jahre bewährt und ist jenes Pferd, auf das die deutsche Judikative setzt – und auch weiterhinsetzen will.

Doch der mittlerweile permanent völlig überladene Gaul lahmt deutlich, hechelt und schnappt nach Luft- und überhaupt sind berittene Boten schon lange nicht mehr der übliche Weg zur Übermittlung von Nachrichten – es hat sich schlicht viel geändert im digitalen Zeitalter – zumindest für die Bürger, als Verbraucher. Die haben längst das umfassende Vertrauen in die Justiz verloren, kaufen massenhaft per Mausklicks und ärgern sich zunehmend. Schließlich sehen sie sich gezwungen, selbst im Falle von kleineren Streitigkeiten, ihre Anliegen in einem nahezu 130 Jahre alten procedere einem Reiterboten antragen zu müssen, der es dann, gleichsam formgerecht auf Pergament aufbereitet, nach alter Väter Sitte und versehen mit einer Opfergabe einer immer noch in eine römische Toga gekleideten Göttin unterbreitet. Die wiederum sitzt erhaben in einem vom „real life“ abgeschirmten Tempel und nimmt sich des Anliegens nur an, wenn das dargebotene Opfer ausreichend erscheint. Danach kommt sie dann mit Hilfe von seltsamen Ritualen, welche lediglich erlesenen Priestern in schwarzen Roben bekannt sind, in einem nebulösen Verfahren von Erkenntnis- und Eingebungssuche irgendwann zu irgendeinem orakelhaften Ergebnis. Recht so !?

„Nein“ … hat da die EU überlegt, und „ob es da nicht eine Alternative zum überholten Göttinnendienst geben könne. Eine zeitgemäße, aussergerichtliche Möglichkeit , um effektive, schnelle und faire Streitiglösungen zu ermöglichen. Selbstverständlich sollte die Streitbeilegung zudem unabhängig, unparteiisch und transparent geschehen, damit das Vertrauen von Verbrauchern und Unternehmern vor allem auch in den grenzübergreifenden elektronischen Ein- und Verkauf wieder gestärkt werden kann.

Gesagt, getan: Mit der Richtlinie 2013/11/EU (ADR-Richtlinie) und der ODR-Verordnung Nr. 524/ 2013 wurden die nationalen Gesetzgeber verpflichtet, bis Juli 2015 eine solche Möglichkeit zu eröffnen. Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat im November 2014 den Referententwurf eines entsprechenden Gesetzes vorgelegt: Das „Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG)“.
Das VSBG beinhaltet eine kleine Revolution – das Abrücken des Staates vom zivilrechtlichen Entscheidungsmonopol – trägt aber auch die Züge jeder revolutionären Entwicklung: Chaos und Widersprüchlichkeit und intensives Gerangel um Macht, Kompetenz und Autorität.
Mit dem VSBG wird für Verbraucherstreitigkeit sozusagen ein zweiter, verbindlicher und flächendeckender außergerichtlicher Rechtsweg für Streitigkeiten aus „Dienstleistungs- und Kaufverträgen“ geschaffen. Eingangsinstanz sollen kontrollierte und kontrollierbare „Verbraucherschlichtungsstellen“ , übergeordnet so genannte Auffangschlichtungsstellen, auch für den Fall, dass keine Eingangsinstanzen vorhanden sind. Irgendwer wird immer zuständig sein – so das Gesetz. Als „Streitschlichter“ soll – unabhängig – fungieren können, wer juristisch gebildet ist, über Kenntnisse und Fähigkeiten der außergerichtlichen Streitbeilegung verfügt und unter Beteiligung von Verbraucherverbänden bestellt wurde. Das „Schlichtungsverfahren“ wird in einer Art „Mini-ZPO“ vorgegeben und soll binnen 90 Tagen abgeschlossen sein. Die Unternehmen tragen die überwiegenden Kosten der „freiwilligen“ Schlichtung; sie werden zudem verpflichtet, in ihren AGB oder auf ihrer homepage mitzuteilen, ob sie zu außergerichtlicher Schlichtung generell und freiwillig bereit – hier hofft der Gesetzgeber auf eine erzieherische Funktion und eine Regulierung durch den Markt:„good guy“ ist, wer dazu bereit ist, „bad guys“ bilden den Rest.

Was sich der Gesetzgeber unter „außergerichtlicher Streitschlichtungsmethodik“ vorstellt, bleibt indes völlig unklar – es wird lediglich zwischen „gerichtlich“ und außergerichtlich“ unterschieden. So kommen alle möglichen Anwendungen in Betracht, wobei im VSBG allerdings Mediation und das Mediationsgesetz ausdrücklich erwähnt werden – eine Abgrenzung untereinander aber findet nicht statt. Je nach Verfahrensordnung sollen im Verbraucherstreitschlichtungsverfahren freiwillige, konsensuale Lösungen ebenso möglich sein wie für den Unternehmer verbindliche Entscheidungen durch die bestellten Streitmittler.
Was soll das? Existiert nicht bereits ein System von außergerichtlichen

Streitbeilegungsverfahren, beispielsweise durch unternehmensfinanzierte Ombudsleute und Schlichtungsstellen, durch von der öffentlichen Hand eingerichtete Schiedsstellen, durch anerkannte Gütestellen, durch Mediatoren und andere Streitschlichtundmöglichkeiten?
Ja und Nein – diese Möglichkeiten existieren, aber sie bilden bei weitem kein System. Vielmehr stehen sie in Konkurrenz zueinander – der Bürger (und Verbraucher) hat die Qual der Wahl, je nachdem, welcher Konfliktgegenstand den Anlass bietet und wem er sein Vertrauen schenken soll.

Unzweifelhaft rückt der Gesetzgeber mit dem VSBG die Potentiale außergerichtlicher Streitschlichtung weiter in den Fokus der Öffentlichkeit. Allerdings zwängt er deren Vorteile, insbesondere Verfahrens- und Ergebnisoffenheit, in ein reglementierendes Korsett; er wünscht sozusagen eine Verschlankung des Zivilrechtsweges mit althergebrachten Mitteln.
Das ist, als wolle man eine flächendeckende Gewichtsabnahme der Bundesbürger durch Speisen aus staatlich beaufsichtigten „Versuchsküchen“ erreichen: Teilnehmende Nahrungsmittelhersteller, Großküchen und Restaurants werden (zur Entlastung der staatlichen Gesundheitsfürsorge) per Gesetz angehalten, „irgendeine“ hochwertige, schnell wirkende Diät anzubieten, die Verbraucher von traditionell „Deutscher Küche“ abbringt – selbstverständlich freiwillig und kostenfrei. Den Großteil der Kosten sollen die Hersteller von fettreicher oder vitaminarmen Produkten durch eine Ausgleichsabgabe übernehmen; “Versuchsküchenkoch“ darf jeder werden, der eine gute Idee hat und zumindest schon einmal in einem Imbiss beschäftigt war. Die größte Herausforderung ist allerdings die verbindliche Vorgabe, sich im Wesentlichen genau an den durchschnittlichen Warenkorb zur Wirtschaftswunderzeit sowie die dazu gehörenden Zubereitungs- und Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher zu halten – und damit jene, welche zur Verfettung beigetragen haben.

Das schafft unzweifelhaft Konkurrenz unter den Küchenchefs, bleibt aber für den Verbraucher völlig intransparent – ohne wirklich Platz für ernst gemeinte, variantenreiche Ernährungsvielfalt zu lassen. Immerhin aber bekämen Nahrungsmittelhersteller. Küchen und Küchenchefs auf Dauer die flächendeckende Möglichkeit, auf ihre eigentlichen und hochwertigen Diätprodukte aufmerksam zu machen und deren Absatz immens zu steigern.
Ein ähnlicher Erfolg wäre über das VSBG auch bei den Anbietern „außergerichtlicher Streitschlichtung möglich – nämlich ein langfristiges „Umdenken“ von Verbrauchern im Streitfalle zugunsten der außergerichtlichen Streitschlichtung. Sofern der Schritt in eine „Versuchsküche“ gewagt wird.

In der jetzigen Entwurfsfassung jedenfalls – und ohne weitere deutliche Abgrenzung zum ordentlichen Rechtsweg – trägt das VSBG nichts zur Akzeptanz außergerichtlicher Streitschlichtung bei, sondern degradiert deren viele Methoden und Möglichkeiten zu einem bloßen Mittel staatlicher Kostenersparnis: Ein Kessel Buntes zur Entlastung der Justiz – selbst wenn sich darin das ein oder andere Stückchen Pferdefleisch findet.

Stefan Markel

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