Spieltheoretische Ansätze in der Mediation
Ostern, so lernen wir von Wikipedia, kommt aus dem Lateinischen. Das Wort leitet sich von pascha oder hebräisch von pessach her. Es bezeichnet die christliche Gedächtnisfeier der Auferstehung Jesu, der nach dem Neuen Testament als Sohn Gottes den Tod überwunden hat.
Was das mit Eiern zu tun hat weiß man nicht.
Dem Ei wurde allerdings bereits in der Antike eine symbolische Deutung zugeschrieben, ebenso wie in anderen Kulturen und Religionen.
Ostern fällt immer auf den Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond. Es hat also auch etwas mit dem Frühling zu tun. Nun fallen die neu entstehende Fruchtbarkeit und das aufertstandene Leben zusammen. Dann liegt es nahe, wenn das Ei-Symbol als der Inbegriff für den Neubeginn aufgeggriffen wird. Aus dem Ei entsteht neues Leben.
Warum man Eier färbt ist auch nicht bekannt.
Gefärbte Eier finden sich in der Sitte des Nouruz-Festes im iranischen Raum, vor allem bei Zoroastriern und Jesiden. Dass man die Eier durch Bemalung schmückt, hebt deren Bedeutung hervor. Am Morgen des Ostermontages ist es Brauch, die Eier vor den Kindern zu verstecken und ihnen aufzugeben, sie zu suchen. Jetzt werden die geschmückten, aufgewerteten Eier zum Gewinn, den die Kinder sich einheimsen dürfen. In Zeiten, wo das Essen nicht so üppig ausfällt wie heutzutage ist dies schon ein wirklicher Gewinn.
Nun, den Bezug zur Mediation haben wir immer noch nicht hergestellt. Natürlich, die christliche Philosophie enthält viele Merkmale und Weisheiten, die die Mediation nicht mehr neu entdecken müsste. Man könnte auch sagen, dass bei der Mediation (wenigstens bei der transformativen) etwas neues entsteht so dass das Ei auch als Symbol für die Mediation herhalten könnte. Ich stelle mir gerade ein bemaltes Ei vor auf dem die typischen Handschlagbilder wiederzufinden sind. Grrr ist das kitschig.
Das Eiersuchen hat einen Bezug zur Mediation. Das Eiersuchen ist ein Suchspiel. Genau das ist die Mediation auch. Dort sucht man Eier, hier sucht man Lösungen. Und schon sind wie mitten in der Spieltheorie. Grund genug, einmal mit den spieltheoretischen Begrifflichkeiten zurecht zu kommen. Hier verweise ich auf Professor Rieck’s Spieltheorie-Seite. Dort lernen wir, dass die Mediation dem Spieltyp der Coopetition entspricht.
Wir alle wissen, dass die Mediation kein Nullsummenspiel ist. Der Gegensatz ist aber nicht das Positivsummenspiel, denn bei genauem Hinsehen lässt sich der Kuchen nicht wirklich verdoppeln. Wenn ich kein Geld habe, kann ich nicht zahlen. Daran kann auch eine Mediation nichts ändern. Die Mediation ist nicht in der Lage, die Ausschüttungsmenge zu vergrößern. Was sich aber ändert, und dazu ist die Mediation in hervorragender Weise sehr wohl in der lage, das sind die Lösungsoptionen. der Lösungsrahmen wird vergrößert und dadurch lassen sich Optionen auch miteinender kombinieren, so dass die völlig unlogische Weisheit, wonach die Summe der Einzelelemente mehr sei als das Ganze zum Tragen kommen kann. Was mehr und was weniger ist, ist dabei eine Frage der Bewertung. Sie ist relativ und bezieht sich natürlich auf das Mögliche. Natürlich werden dabei auch Unmöglichkeiten möglich. Dies aber nicht weil es Unmöglichkeiten sind, sondern weil derartige Optionen nun in das Lösungsspektrum passen.
Mithin schafft die Coopetition (oder das Positivsummenspiel, um bei dem falschen aber eingefahrenen Ausdruck zu bleiben) also nicht unmittelbar eine größere Ausschüttungsmenge. Die Fakten bleiben wie sie sind. Wo kein Geld ist, lässt sich auch keines hinzaubern. Sie schafft aber mehr Optionen, die Ausschüttungsmenge so zu verteilen und zu bewerten, dass jede Partei den relativ größt möglichen Nutzen daraus ziehen kann.
Es geht also in erster Linie um die individuelle Bewertung des Ausschüttungsergebnisses. Die Spieltheorie spricht von der Auszahlung. Auszahlungen sind eine Metapher dafür, wie gut die einzelnen Spieler die verschiedenen Ergebnisse (Spielausgänge) finden. Mathematisch gesehen erfolgt die Auszahlung in Nutzenwerten. Die Ergebnisse in einem Spiel können auf einer Verhältnisskala gemessen werden. Da gibt es die typische Bewertung im Nullsummenspiel, wo 100% Gewinn der einen Partei zu 100% Verlust der anderen Partei führen. Dagegen hält die Coopetition, wo 100% Gewinn der einen Partei nicht ausschließen, dass die andere Partei auch 100% Gewinn haben kann. Diese spieltheoretische Zielvorgabe ist wichtig, damit die Parteien davon ablassen, den Gewinn des Anderen verhindern zu wollen. In der Mediation ist es strategisch jedenfalls nicht schädlich, dem Anderen seinen möglichen Gewinn erst einmal zu gönnen, um zu sehen, ob man selbst nicht auch in eine Gewinnzone kommen kann. Diese strategische Vorgabe erlaubt die Kooperation. Nicht nur das. Sie erlaubt es auch sich auf sich selbst zu konzentrieren. Genau das unterstützt die Mediation im Windows 1.
Letztlich hängt die Frage, ob oder wer das Spiel gewonnen hat von der Bewertung der Parteien ab. Dabei spielen verschiedenen Kriterien eine Rolle. Besonders bei Konflikten, die einen Beziehungsaspekt beinhalten, führt die mathematische Inbezugsetzung der Ergebnisse zu einem Ausdruck von Beziehung. Hier haben nicht nur die Reihenfolge der Nutzenwerte eine Bedeutung, sondern auch der Abstand der Werte zueinander. Wenn das Ergebnis der einen Seite als Verlust bezeichnet wird und das der anderen als ein darauf bezogener Gewinn, dann ist der Abstand der Ergebnisse nach wie vor groß. Wird er als unausgewogen gesehen, dann ist er nicht akzeptabel. Von einem win-win Ergebnis jedenfalls kann keine Rede sein. Hier kommen durchaus auch wieder konfrontative Aspekte ins Spiel, denen die Mediation stand halten muss. Die Mediation erlaubt den Prozess zunächst unabhängig von dieser Relation, indem sie die Entscheidung über den Spielausgang bis zur letzten Sekunde aufschiebt.
Was auch deutlich wird ist, dass die Bewertung der Auszahlung zumindest auf einer Spielebene höchst individuell ausfällt. Diese Individualität geht verloren, wo Ergebnisse schematisiert und als zu erreichen vorgegeben sind. Solche Vorgaben könnte man in den gesetzlich vorgesehenen Lösungen erkennen. Wenn ich einen Anspruch habe, den ich nicht geltend mache, dann ist das Ergebnis an dieser Nutzenskala gemessen, ein (relativer) Verlust. Dabei wird übersehen, dass unser Recht dispositiv ist und andere Bewertungen auf das Ergebnis Einfluss nehmen können.Übersehen wird auch, dass die Bewertung des Nutzens nicht nur auf einer monetären Ebene statt findet, sondern auch emotionale und beziehungsrelevante Aspekte einschließt. Manchmnal wird sie auch auf eine juristische Ebene verlagert. Hier fällt auf, dass vom Verlust des Rechts gesprochen wird, was eigentlich gar nicht verlustig gehen kann. Die Nichtausübung eines Rechts ist dessen Wahrnehmung, nicht dessen Verlust.
Ziel der Mediation muss es also sein, die Parteien aus solchen Vorgaben ZUNÄCHST zu lösen, indem sie eindeutig NICHT als das Spielergebnis definiert werden. Diese Überlegung beeinflusst den Mediationsverlauf. Sie wirkt sich z.B. auf die frage aus, wann ich wie einen Anwalt einschalte. Die Mediation findet keinesfalls ausserhalb des Rechts statt, wie viele behaupten. Auch ist es unzutreffend, dass die Mediation unabhängig vom rechtlichen Ergebnis zu führen sei. Richtig wäre es zu sagen, die Mediation findet ihre Ergebnisse aufgrund der inneren Überzeugung der Parteien, die dann, in einem zweiten Schritt am Recht zu messen sind.
Die Mediation muss die Parteien nun darauf vorbereiten, dass sie sich von eventuellen Vorgaben (Auszahlungen, Erwartungen) wenigstens zunächst lösen können. Jeder Spieler soll unabhängig von jeglichen Spielvorgaben (Vorgaben hinsichtlich der Auszahlungen) und Erwartungen das Ergebnis in seinem Sinne bewerten können. Was der Eine als Nachteil ansieht mag der Andere für sich als einen Vorteil verbuchen.
Die Besonderheit des Mediationsspiels ist es also aus spieltheoretischer Sicht, dass sowohl die Auszahlung unbekannt ist und dass die Bewertung des Nutzens als ein wesentlicher Teil des Spiels den Spielern überlasen bleibt. Nur so ist es möglich, die physikalischen Gesetze einer von vorne herein begrenzten Ausschüttung (oft als der Kuchen bezeichnet) zu überwinden und den Kuchen zu vergrößern. Die Bewertung des Spielerfolges liegt dabei nicht an der Auszahlung schlechthin, sondern an der Bewertung derselben durch die Spieler.
Ist die Bewertung der Auszahlung im Spiel vorgegeben, dann neigen die Spieler dazu, das vorgegebene Bewertungsschema zu erreichen. Das gilt umso mehr, je unsicherer sie bei der Bewertung des Ausganges sind. Bei einem Nullsummenspiel ist die Bewertung mit den Gewinner und Verlierer Attributionen vorgegeben. Die Mediation entkräftet diese Auszahlungsbewertung, indem sie keine Auszahlung vorgibt. Die Auszahlung ist bewusst offen gehalten, so dass die Parteien nicht veranlasst sein sollten, das Spiel wegen des Spielergebnisses zu spielen und darauf auszurichten. Sie sollen das Spiel wegen des eigenen Nutzens spielen, den sie mit dem Spielergebnis verbinden.
Spieltheoretisch ließe sich die Mediation als ein Spiel beschreiben, bei dem die Spieler veranlasst sind, ein gemeinsames Ergebnis zu finden, das jeder von ihnen als einen aufeinander bezogenen Gewinn zu beschreiben vermag.
Inhalt des Spieles ist es also
- Ein solches Ergebnis überhaupt zu finden und
- Dieses Ergebnis für sich jeweils als einen (relativen und individuellen) Gewinn zu deklarieren.
- Diesen Gewinn ins Verhältnis zu dem der Gegenseite setzen zu können.
Das Spielziel wird nur erreicht, wenn alle diese Optionen zutreffen. Die strategischen Ansätze dafür sind deshalb zunächst die Erarbeitung eines individuellen, möglichst von äußeren Bewertungen unabhängig zu bewertenden Ergebnisses. Da die Auszahlung als Nutzen definiert wird, geht es also auch darum, zunächst die Nutzenkriterien herauszufinden und den Parteien bewusst zu machen, auf welche sie die Bewertung der Auszahlung stützen können. Das geschieht in Phase drei und bei der Bewertung später in Phase vier.
Leider hat es sich in unserer materialistischen Welt eingebürgert, die Auszahlungen als Geldauszahlungen zu interpretieren und auch an Geldwerten zu messen. Spieltheoretisch ist jedoch zwischen Geldauszahlungen und Auszahlungen in Nutzenwerten zu differenzieren. Nutzwerte sind dabei alles das, was als nützlich betrachtet werden kann. Ethymologisch betrachtet stammt das Wort Nutzen von genießen ab und kann auch als das zu Genießende beschrieben werden. Auch der Eigennutz kommt darin vor. Er deutet darauf hin, das das, was es zu genießen gibt durchaus eine subjektive Note hat. Der Genuss wiederum ist mit den Gefühlen verbunden. Ausschlaggebend ist also, dass die Spieltheorie auch nicht-materielle Entlohnungen als Auszahlung vorsehen kann (wie soziale Anerkennung, Einhalten moralischer Standards, Freude über die Freude Anderer usw.) und dass die Nutzenfunktion so konstruiert ist, dass man bezüglich der Nutzenwerte immer risikoneutral ist.
Spieltheoretisch wird das Risko als die Möglichkeit einer Abweichung vom Erwarteten definiert. Das Risiko ist also zu vernachlässigen (geringer), je weniger Erwartungen an die Auszahlung bestehen. Auch diese Erkenntnis ermöglicht die Mediation im Laufe ihres Prozesses (siehe Mediation ist Die oder Keine Alternative). In Phase zwei verdeutlicht sie die Unerreichbarkeit der erwarteten Auszahlung. In Phase drei hilft sie, die Kriterien für andere Auszahlungsoptionen zu sammeln. Eines baut auf das Andere auf.
Im Ergebnis kommen wieder konfrontative Elemente zum Vorschein. Dies insoweit als die jeweilige Auszahlung miteinander verglichen wird. Unwillkürlich geht man davon aus, dass die Mediation ein gerechtes und deshalb ausgewogenes Ergebnis herbeiführt. Was aber gerecht und ausgewogen ist, obliegt der Beurteilung der Parteien. Wie auch immer. Sie werden das Ergebnis aneinander messen und aufeinander in Bezug setzen. Besonders wichtig ist dieser Aspekt bei Beziehungskonflikten. Hier wird das Ergebnis mit der Beziehung im Zusammenhang stehen, wenn es diese nicht sogar selbst direkt zum Ausdruck bringt. Die Vorstellung, dass eine Partei besser abschneiden könnte als die andere ist in solchen Konflikten ein wichtiges Thema. Den Zugang schafft die Mediation, indem sie die Bewertungskriterien offen legt und für den Gegner nachvollziehbar macht. Das passiert spätestens im Windows zwei. Hier wirkt sich die Phase drei wieder aus. In Phase vier können die unterschiedlichen Optionen wertemäßig ins Verhältnis gesetzt werden. Erst jetzt beginnen die Parteien damit, die Kriterien für eine Auszahlung festzulegen. Jetzt erst ist also die Zeit gekommen um Verhandlungen über die Auszahlung zu führen.
In der Praxis unterbleibt die Hinterfragung der Auszahlung besonders dann, wenn die Auszahlung vorgegeben ist. Das ist bei den Gerichtsverfahren scheinbar der Fall. Tatsächlich und bei genauem Hinschauen ist sie es aber nicht, wenn man das Recht als dispositiv ansieht und die gesetzliche Vorgabe nur als eine Art Empfehlung betrachtet, die sich durchaus noch toppen lässt und durchaus auch vom rein menetären Nutzen abweichen kann. Was aber in jedem Fall passieren muss ist, dass der Nutzen beiden Parteien bekannt ist und dass sie sich aktiv für ihn entscheiden. Dazu müssen sie das Ergebnis spieltheoretisch als risikolos einschätzen. Risikolos bedeutet, sie haben keine andere bessere Erwartung mehr als die erzielte Auszahlung. Das gilt es in jeder Mediation zu prüfen und zu hinterfragen. Den methodischen Ansatz bildet der WATNA/BATNA-Einschub, der spätestens gegen Ende der Phase vier durchzuführen ist.
Nun wäre es ein fataler Fehler zu glauben, die Mediation sei das ganze Spiel. Aus der Sicht der Parteien ist dieses Spiel in ihr Konflikgeschehen eingebettet und kommt – wenn überhaupt – meist erst in der triadischen Nachfragephase zur Geltung. Dann nämlich, wenn ein neutraler Dritter einzubeziehen ist. Das Spiel der Parteien hat eigentlich schon lange vorher begonnen und es wird auch nach der Mediation noch fortzusetzen sein. So gesehen ist die Mediation ein Spiel im Spiel. Nun ist die Frage, welches ist die dominante Spielstrategie im Spiel der Spiele?
Leider ist das Spiel der Spiele noch überhaupt nicht definiert. Leider konzentrieren sich die Diskussionen meistens auch um die Streitbeilegungsverafhren (oder immer nur) als Einzelspiele. Scheitert eines, dann kommt ein anderes an die reihe und das Spiel beginnt von vorne. Man übersieht gerne den Bedarf für einen übergeordneten Rahmen und die Tatsache, dass es eigentlich um ein Spiel der Spiele geht und nicht um ein Einzelspiel. So gesehen taucht die Frage auf, wer definiert das Spiel der Spiele und wie fügen sich die Einzelspiele dort zusammen? Hier meint die Integrierte Mediation, dass die Mediation (konzeptual gesehen) auch als Leitlinie für das Spiel der Spiele herhalten kann. Die Mediation ist – so gesehen – also nicht nur ein Spiel, sondern auch zugleich das übergeordnete Konzept für das Spiel der Spiele. Wer dieses Konzept verstanden hat und beherrscht, der kann die Parteien sicher und konstruktiv durch die Spiele führen ganz gleich ob es sich um ein Nullsummenspiel oder einen kooperativen Wettbewerb handelt. Im Spiel der Spiele darf alles vorkommen. Das macht das Spiel der Spiele ja gerade so attraktiv.
Ein sehr ausführlicher Artikel zum Thema Spieltheorie. Vielen Dank. Vor allem habe ich die Erklärungen zum Osterfest sehr genossen.