Eine Bestandsaufnahme
Es ist fast wie ein Geburtstag. Am 26.7.2012 trat das Mediationsgesetz in Kraft. Der Meilenstein, das Jahrhundertwerk, so wurde es genannt. Ein guter Anlass für viele, sich und das Gesetz in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Was hat sich wirklich verändert?
Die Mediation ist in der Bevölkerung schon relativ gut bekannt.
Das hat eine Umfrage ergeben, die im jährlichen Roland Rechtsreport veröffentlicht wird (siehe hier). Trotzdem macht es einen Unterschied, ob man das Wort „Mediation“ kennt oder ob man weiß, was sich dahinter verbirgt. Ja, ja, die Definition ist inzwischen auch jedermann geläufig. Sie steht ja im Gesetz (siehe hier). Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mit Hilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben. So lautet die Definition. Aber was besagt sie?
In Deutschland, so schätzt man, gibt es mehr als 50.000 Mediatoren. Will sagen, so viele Menschen haben eine Ausbildung in Mediation absolviert. Berufsmediatoren gibt es nur sehr wenige. Damit meine ich solche, die ausschließlich Mediation anbieten und auch davon leben können. Der Gesetzgeber führt in der Begründung zum Gesetz aus, dass er darauf verzichtet hat, die Mediation zu einem Berufsgesetz zu machen: Die Nachfrage, so wird ausgeführt, sei eben noch nicht so groß.
Die Konsequenz: Mediation wird von den konventionellen Berufen annektiert.
Statt die Interdiszilplinarität zu wahren, entsteht eine zunehmende Diversifikation. Anwälte behaupten, die Mediation sei ihre ureigene anwaltliche Aufgabe. Richter meinen das auch, und das sind nicht die Einzigen.
Wozu aber dient uns die Mediation? Ist sie gemacht, um damit Geld zu verdienen und die Nachfrage zu verändern? In Amerika hat sich die Mediation nach mehr als einer Generation weitestgehend etabliert. Die Gerichte achten darauf, dass Mediationen statt finden. In Europa ist das noch lange nicht der Fall. Trotzdem denkt man, das könnte hier auch so geschehen. Spannend ist die Mitteilung der DAV-Arbeitsgemeinschaft Mediation, also der für Mediation zuständigen Abteilung des Deutschen Anwaltsvereins. Dort wird ausgeführt, dass die Möglichkeiten des Gesetzes nicht voll ausgeschöpft würden. Wenn man genauer hinschaut sind es nicht die Möglichkeiten des Gesetzes, die nicht ausgeschöpft werden, sondern die Möglichkeiten der Konfliktbeilegung.
Aus dieser Erkenntnis ergibt sich ein anderer Erklärungshintergrund.
Warum streiten Menschen und warum können sie sich nicht einig werden? Bei eskalierten Konflikten liegt das an der Wirkungsweise unseres Gehirns. Die Evolution ist noch nicht so weit wie unsere Kultur es erfordert. Der Mensch ist der Kultur nicht gewachsen. Früher war das ein Überlebenskonzept. Eberhard Kempf, Mediator, Trainer und Mitbegründer der Integrierten Mediation sagt: „Wenn das Huhn sich überlegen würde, ob der Habicht eventuell freundlich gesinnt sein könnte, hätte es keine Überlebenschance“. Überlebensfragen werden nicht im Neokortex sondern im Stammhirn entschieden. Das limbische System regelt unser Überleben. Dort sind die Urgefühle etabliert, die Angst und Wut auslösen. Es ist ein Selbstschutz. Informationen werden so ausgefiltert, dass spontane Entscheidungen möglich werden. Und nicht nur das. Wenn Angst aufkommt, dann wird das Gehirn ausgeschaltet. Denken dauert zu lange und kostet zu viel Energie. Die Energie wird benötigt, um schnell agieren zu können. Der Körper wird in Sekundenschnelle auf Höchstleistungen gebracht. Das ist notwendig, um schnell weglaufen zu können. Heute haben wir auch Angst, wenn der Chef uns anschreit zum Beispiel. Wir haben Wut, wenn wir etwas als ungerecht empfinden. Nur: wir müssen nicht weglaufen.
Besser wäre es, sich dem Problem zu stellen und nachzudenken.
Nachdenken ist evolutionstechnisch betrachtet, gegen unsere Natur. Die Welt ist komplex. Sie in ihrer gesamten Komplexität zu erfassen, kostet viel Zeit zum Nachdenken und eine Wahrnehmungskapazität, die uns Menschen ohne Selektion kaum möglich ist. Ein Gesetz kann daran nichts ändern. Es hat Einfluss auf das Verhalten, indem es die Rahmenbedingungen festlegt, in denen wir agieren. Im Fall der Mediation bedurfte es dazu aber keines Gesetzes. Das Mediationsgesetz regelt nicht mehr, als wir ohnehin tun durften.
Leider hat ein Gesetz keine neurologische Auswirkung. Es trägt nicht dazu bei, das limbische System in seine Schranken zu weisen. Das kann nur der Mensch selbst und nur dann, wenn er seine Gefühle im Griff hat – und, wenn er das will.
Theoretisch ist das möglich. Die Praxis ist weit davon entfernt. Der Mensch ist wie er ist, und daran ändert die Mediation gar nichts. Lediglich die Erfahrung und das Wissen ändern etwas. Die Erfahrung etwa, dass man keine Wut haben muss und auch keine Angst. Das Wissen ist nicht neu, steht doch schon in der Bibel: „Vertrau auf Gott“. Will sagen: „Du musst keine Angst haben. Es wird schon alles gut werden“. Der Kölner bringt es auf den Punkt: „Et kütt wie et kütt“ und „Et is noch immer jut jejange“. Arthur Trossen pflegt zu sagen „Vertrau der Macht“ und er meint damit „Vertrau dem Wissen und dem Flow, den die Mediation so genial beschreiben kann. Nicht an Lösungen zu denken ist der Trick, der über die Struktur der Mediation hergestellt wird. Das Denken an Lösungen beeinflusst die Wahrnehmung. Der Mediator verhindert deshalb, dass die Medianden an das denken, was hinten herauskommt.
Die Mediation ist, so Trossen, ein geniales Verfahren, das genau beschreibt, wie man auch bei einem hoch entwickelten Prozess zu denken hat, um den Einfluss des limbischen Systems zu überwinden. Wenigstens ist das der Anspruch der transformativen Mediation. Aber was hilft das, wenn sich dieses Wissen nur an bestimmte Verfahren heftet, die aus der Sicht der emotional geleiteten Parteien nicht gerade nahe liegen?
Diese Überlegung war der Ausgangspunkt für die Integrierte Mediation. Warum nicht die Mediation als Kompetenz verstehen? Warum nicht darüber nachdenken, wie diese Kompetenz auch außerhalb der formalen, nicht unbedingt in die Konfliktstrategie der Parteien passenden Verfahren vorzuhalten ist?
Seit der Gründung des Vereins, vor mehr als 10 Jahren, hat die Integrierte Mediation Strategien und Methoden entwickelt, wie das möglich ist. Heute positioniert sich die Integrierte Mediation, indem sie die Kompetenz als eine Mediationsform (verfahrensintegrierte Mediation), als ein Mediationsmodell (integrierende Mediation) und als ein Mediationskonzept (Megaverfahren) zur Verfügung stellt. Damit hat die Mediation den denkbar größtmöglichen Wirkungsbereich.
Nicht jeder Mediator mag diese Idee. Sieht es doch so aus, als würde die Integrierte Mediation die Nachfrage nach Mediation verhindern. Das ist aber weit gefehlt. Das Gegenteil ist der Fall. Die Integrierte Mediation verändert die Haltung – und zwar auch dann, wenn kein Mediationsverfahren anhängig ist. Die Konsequenz ist die, dass Konfliktparteien eher zur Kooperation geneigt sind. Die Nachfrage nach Mediation ist die Konsequenz, nicht die Bedingung.
Der Blick auf die Nachfrage, veranlasst viele Mediatoren dazu, Gespräche und Verhandlungen unter den Begriff der Mediation zu subsummieren. Trossen dazu: „Früher haben wir den Begriff der Mediation vermieden, selbst wenn wir eine Mediation durchgeführt haben. Heute ist das genau umgekehrt. Wir nennen Verhandlungen Mediation, obwohl es eigentlich keine sind“. Das Beispiel der „Mobile Mediation“ verdeutlicht das Phänomen. Ein transformativer Mediator würde ein solches Vorgehen niemals als Mediation bezeichnen. Das ist nicht mehr als ein Sondierungsgespräch. Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Was das Mediationsgesetz also gebracht hat ist einen Hype in der Ausbildungsnachfrage. Wir müssen uns also darauf einstellen, dass wir bald noch mehr Mediatoren haben werden. Das beeinflusst das Konkurrenzverhalten der Mediatoren. Auch eine gesteigerte Nachfrage nach Mediation, wenn man den weiten Mediationsbegriff zugrunde legt. Mache Anwälte und Richter zum Beispiel, die eine Mediationsausbildung absolviert haben, verändern die forensiche Kommunikation. Leider sind das nur manche und wer das kann, ist von außen nicht erkennbar. Hier wäre das IM-Label ein Erkennungsmerkmal, denn von einem integrierten Mediator kann man erwarten, dass er zu jeder Zeit die mediative Kommunikation anzuwenden weiß.
Fazit: Nicht das Gesetz ändert etwas. Es kann lediglich die Rahmenbedingungen schaffen. Das Mediationsgesetz schafft Bedingungen, die der Mediation im Sinne der Friedensstiftung entgegen kommen, aber auch solche, die zwar Nachfrage ermöglichen, nicht aber unbedingt ein friedfertiges Verhalten.
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