Wir neigen dazu, den Zeiten Namen zu geben. So haben wir das Zeitalter des Klassizismus, des Neoklassizismus, der Aufklärung und so weiter. Die heutige Zeit wird gerne als die der Globalisierung bezeichnet. Es gibt sogar Diskussionsforen im Internet, die sich mit dieser Frage befassen. Da gibt es Vorschläge wie z.B.: Zeitalter der Phänomene, postmoderne Epoche, Zeitalter der Kapitaldiktatur, Zeitalter des wirtschaftlichen Abstiegs. Ich neige dazu, die aktuelle Zeit als „Assessmentzeitalter“ zu bezeichnen. Das ist ein durchaus spannender Gedanke für Mediatoren.
Gerade sitze ich in Riga im Hotel. Die Bedienung legt mir ein Feedback-Formular vor. Es nervt nur noch. Das Formular sieht etwa so aus:
Breakfast survey
How did you like the breakfast 1-5
Attitude of our staff 1-5
How would you rate the quality of our bread 1-5
Und so weiter.
Ich mach mir einen Spaß daraus und geb eine 3! Insgeheim frage ich mich, was man jetzt verbessern will. Wahrscheinlich nichts, denn wenn man es wollte, würden die Fragen anders lauten.
Assessments gibt es inzwischen überall. Denken wir nur an Einstellungen und Beförderungen. Wir verlassen uns auf Zeugnisse und Zertifikate. Lebensläufe imponieren mehr als das Gefühl: „Mit dem, das könnte was werden“. Angenommen sie haben ein solches Gefühl bei einem Bewerber. Seine Unterlagen belegen dies aber nicht. Ich unterstelle, sie würden lieber einen anderen Bewerber nehmen, der bessere Unterlagen vorweist, bei dem Sie aber nicht unbedingt das Gefühl haben, es könnte passen. Das ist dann aber die sichere Entscheidung. Da kann man Ihnen keinen Vorwurf machen, wenn Sie den einstellen und es zum Scheitern kommt.
Wenn Sie einen Kredit wollen, dann schaut die Bank nach Basel 1,2,3. Ihre Kontobewegungen stehen im Mittelpunkt, nicht ihr Potenzial. Konsequent achten Sie mehr darauf, dass die Kontobewegungen gut aussehen, anstatt Ihr persönliches Potenzial zu optimieren.
Ein weiteres Beispiel ist das Rating der Griechen, der Firmen usw. Ich frage mich: Hätte Griechenland diese Probleme, wenn es kein Rating gäbe? Die Kommunen in Deutschland haben jedenfalls schon Angst, sie könnten ebenfalls auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit eingeschätzt werden.
Auch die Handywerbung setzt auf den Bewertungswahn auf. Sie macht uns glauben, wir könnten prüfen, ob unser Gegenüber uns belügt oder nicht.
Die Beipiele sind endlos.
Ich frage mich, ob wir mit der Diskussion über die Zertifizierung der Mediation nicht in das gleiche Muster fallen. Mit angeblicher Qualität hat das nichts zu tun. Die Qualität des Mediators erschließt sich über sein Profil. Das ist (abgesehen von unserem Kongress „Vision Mediation“) aber nicht in der Diskussion. Ich hab ein Zertifikat, also bin ich Mediator!
Ist das so?
Angeblich leben wir in einer pluralistischen Welt. Als Mediatoren sind wir stolz darauf, wertneutral zu sein. Es kommt mir vor wie ein Lippenbekenntnis, denn schon die Frage, ob Mediation in Frage kommen soll oder nicht, führt zu einer Bewertung. Wir wollen mittels der Mediation die Streitkultur verbessern. Abgesehen davon, dass ich mit der Einführung eines Produktes keine Kultur verbessern kann, enthält dieser Wunsch schon wieder eine Bewertung. Wenn Mediation die Kultur verbessert, dann ist sie besser.
Klingt logisch, stimmt aber nicht.
Mediation ist ein strategisches Moment. Sie ist eine Art des Denkens. Sie ist so gut, wie die Bedingungen, in der sie zur Anwendung kommt. In ein Nullsummenspiel passt die Konfrontation, nicht weil sie ethisch besser oder schlechter ist, sondern einfach weil es die passende Strategie ist. In ein Positivsummenspiel (kooperativer Wettbewerb) passt die Kooperation. Nicht weil sie ethisch besser ist oder höher steht, sondern weil sie die zum Positivsummenspiel passende Strategie ist. Statt zu bewerten was besser oder schlechter ist, sollte man einfach die Bedingungen so aufstellen, dass „besser“ naheliegend ist. Es macht demnach auch wenig Sinn, die Menschen in Mediationen zu zwingen. Eine optimierte Möglichkeit ist es, die Bedingungen so zu verändern, dass die Mediation eine naheliegende Strategie ist. Dann lernen wir, Positivsummenspiele als spannender wahrzunehmen als Nullsummenspiele. Dann lernen wir, im Positivsummenspiel zu denken und nicht in dem „Ich habe Angst zu kurz zu kommen“ – Spiel. Die Ethik ist die Folge daraus. Sie ist nicht die Bedingung dafür.
All die Assessments führen dazu, dass Vertrauen und Intuition verloren gehen. Dabei ist es das, was das Leben so wertvoll macht, was den Menschen zum Subjekt macht und nicht zum Objekt von irgendwelchen dummen und inzwischen stereotypischen Feedbackfragebögen.
Das sind so die Gedanken an einem schönen sonnigen Morgen in Riga. Ich trink jetzt noch einen Kaffee, denn der schmeckt wenigstens. Die Bedienung ist auch sehr nett auf einer Skala von 1-10 (1 ist schlecht 10 ist gut) gebe ich dem Kaffee eine 8 und der Bedienung eine 7. Oder nein, sie hat ein schönes Kostüm an. Ich geb ihr eine 8!
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