Nun ist es soweit – die Bundesregierung hat am 27. Mai 2015 den Entwurf des Gesetzes zur Verbraucherstreitschlichtung (VSBG) beschlossen. Unter dem Titel „Flächendeckendes Angebot zur Verbraucherschlichtung“ wird auf der homepage des Bundesministeriums des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) darüber berichtet.
Nach unserer Lesart allerdings wird lediglich sachlich, ein wenig erleichtert und schulterselbstklopfend zugegeben, dass es der Bundesregierung zwar widerwillig, aber dennoch gelungen ist, die seitens der EU anordnete Stärkung der außergerichtlichen Streitschlichtung zwischen Verbrauchern und Unternehmen in einem aufzuweichen, der dann noch so gerade eben in der von der EU vorgebenen Frist (Juli 2015) als Gesetz beschlossen werden kann.
Aus der von der EU vorgesehenen, unmissverständlichen Stärkung der außergerichtlichen Streitbeilegung ist in Deutschland in dem vorhandenen Spektrum der bereits existierenden Angebote zur außergerichtlichen Streitbeilegung nun ein neuer Weg geschaffen und zugleich zum „primus inter pares“ gekürt worden.
In einem an dieser Stelle ebenfalls veröffentlichen Tagesspiegel-Interview mit Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesinnenministerium vom gleichen Tag („Die Kunden zahlen nichts“) schränkt dieser denn auch den grundsätzlichen Bedarf nach den vorgesehenen neuartigen Schlichtungsstellen den „Telekommunikationsbereich mit dem Internet und bei Senioren in Pflegeheimen“ ein. Dort wäre es gut, wenn die Verbraucher mit ihren Problemen „nicht gleich vor Gericht ziehen müssten“, sondern sich zuerst mit einem Antrag „an einen Schlichter wenden könnten.“ Selbstverständlich könne man kein Unternehmen aus verfassungsrechtlichen Gründen zu einer solchen Schlichtung zwingen, allerdings müssten Unternehmen künftig auf ihrer Webseite und in ihren Geschäftsbedingungen mitteilen, ob sie sich an einem Schlichtungsverfahren beteiligen oder nicht. Die Kunden, für die das vorgesehene Schlichtungsverfahren, außer bei Missbrauch kostenfrei sein soll, könnten das Verhalten des Unternehmens ja – hier klinkt es leicht augenzwinkernd – bei ihren zukünftigen „Kaufentscheidungen berücksichtigen“. Im Klartext heißt die Botschaft an die Unternehmen also: „Macht mit, sonst laufen Euch vielleicht die Kunden weg.“, die Botschaft an die Verbraucher: „Versucht es erst einmal kostenfrei, zum Anwalt und vor Gericht könnt ihr im Zweifel immer noch!“.
Zweifel mögen angebracht sein, ob die Argumente „Kundenflucht“ bzw. „Kostenfreiheit“ wirklich mit der zur außergerichtlichen Streitbeilegung vorausgesetzten Freiwilligkeit identisch sind. Zudem ist mehr als fraglich, ob hier nicht gerade wieder das jüngst vom Bundesverfassungsgericht zumindest für den Immobilien – und Mietmarkt bestätigte Bestellerprinzip erneut umgekehrt wird.
Das alles mag im weiteren Gerichte – nicht Streitschlichtungsstellen nach dem VSBG—beschäftigen, jedenfalls sind die einzigen, an die mit dem VSBG keine wesentliche Botschaft gerichtet ist, die bereits vorhandenen Anbieter außergerichtlicher Streitschlichtungsmöglichkeiten: Güte- und Schlichtungsstellen beispielsweise, Schiedsleute, Mediatoren. Diese sind nun allerdings schlicht gezwungen, sich dem gesetzlichen Schlichtungsverfahrensvorgaben zu beugen und sich irgendwo in dem „VSBG-System“ ein- und unterzuordnen. Nebenbei: Problemlos möglich sein wird dies allein der Integrierten Mediation, weil sie den entscheidenden Vorteil bietet, bereits per definitionem effektive Schnittstellen zu allen andern Verfahren. Methoden und Möglichkeiten der außergerichtlichen Streitschlichtung (und sogar zu gerichtlicher Streitentscheidung) bietet.
Das VSBG ist und bleibt insgesamt ein legislativer Eiertanz: Vorhandene Rechtsstreitmöglichkeiten weitestgehend beibehalten; neue, verbindliche Streitbeilegungswege schaffen, aber bitte in einem Verfahren, von dessen ordnungsgemäß staatsvergewaltetem Ablauf und Zustand sich der zuständigen Aufsichtsbeamte zuvor überzeugt hat, Verbraucher zur außergerichtlichen Streitbeilegung motivieren -selbstverständlich kontrolliert. kontrollierbar und möglichst kostenfrei; Freiwilligkeit der Unternehmen „fördern“ – mit der Prognose von wirtschaftlichem Druck durch eine „Abstimmung mit der Maustaste“ durch die Verbraucher – dies alles unter der Bedingung: Die Kunden zahlen nichts, der Staat zahlt nichts drauf. Frage am Rande: Wer aber zahlt die Zeche dann?
Ein derartiges Kuddelmuddel hatte die EU sicher so nicht vorgesehen: Für die Verbraucher mutet die nun vorgenommene „Umsetzung“ der EU-Richtlinie durch die Bundesregierung an wie ein “Freibrief zur kostenfreien Reklamation“ , für die Unternehmen eher wie ein Akt guten Willens seitens der EU mit nachfolgendem, negativem „Stille-Post-Effekt“ durch den Gesetzgeber.. Allein die Regierung mag sich noch vor der Sommerpause zurücklehnen in dem Bewusstsein, gegenüber der EU zumindest formal fristgerecht ihre Pflichten erfüllt und Alles ihr Mögliche getan zu haben, um durch den Bundestag eine „freiwillige“ Streitschlichtung gesetzlich angeordnet zu haben.
Hallo Axel, ob der Streitschlichter mit Rechtskenntnissen sich tatsächlich persönlich einem Haftungsrisiko aussetzt, steht de jure noch in den Sternen. Schließlich soll er in gesicherten finanziellen Verhältnissen des Trägers unabhängig und weisungsfrei arbeiten. Somit wäre ein eventuelle Vermögensschadenshaftpflichtversicherung Sache des Trägers der Schlichtungsstelle. Aber auch der Verband IM hat das Problem gesehen und daher in seiner Stellungnahme an das Justizministerium vorsichtshalber angeregt, Streitschlichter bzw. mindestens ein Schlichter einer Streitschlichtungsstelle sollte Volljurist sein. Unabhängig davon bleibt zum Inhalt einer Haftung des Streitschlichter derzeit lediglich zu sagen: Soweit sich eine summarische, materiell- rechtliche Prüfung gemäß § 13 VSBG darauf bezieht, dass die Verfahrensordnung der Streitschlichtungsstelle vorsehen KANN, der Streitschlichter solle befugt sein, Anträge auf die Durchführung eines Verfahrens abzulehnen (beispielsweise wenn der Antrag „offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg“ ist „der Anspruch bei Antragstellung bereits verjährt war und der Unternehmer sich auf die Verjährung beruft“ oder „wenn eine grundsätzliche Rechtsfrage, die für die Bewertung erheblich ist, noch nicht geklärt ist“), gibt es ja effektive Mittel, eine potentiellen Haftung umgehen: 1. Entsprechende Klauseln nicht in die Verfahrensordnung mit aufzunehmen, oder schlicht: Summarische Prüfungen gem. § 13 VSBG ignorieren – und Anträge auf Streitschlichtung nach VSBG generell nicht abzulehnen, sondern anzunehmen.
„Eiertanz“ kam mir auch in den Sinn. Es ist der Bundesregierung anzumerken, dass sie muss, aber nicht will. Das VSBG verschlechtert in meinen Augen die Situation der AS. Insbesondere tritt es viele Mediatoren ohne juristischen Background, da man immer mehr versucht eine summarische Prüfung in das Verfahren zu implementieren. Nicht nur, dass einige Mediatoren das nicht bieten können, alle Schlichter setzten sich einem Haftungsrisiko aus.
VG A.H.