Dass der Übergang von einer Phase der Mediation zur anderen „vorbereitet“ sein möchte, ist keine Frage. Als Mediator nehmen wir – auch ungewollt – auf die eine oder andere Art Einfluss darauf. Dieser mag in dem einen Fall bewusster vonstatten gehen, ein anderes Mal ergibt sich dieser Übergang aus dem „Flow“ der Mediation selbst. Immer aber ist es „etwas“, das den Fluss in Gang bringt und/oder eine Wende darstellt. Die Kunst, die „korrekte“ Frage zu stellen, ist nicht immer einfach. Die Erfahrung spielt dabei eine gewisse Rolle. Aber auch „ausprobieren“ ist sicherlich hier und da eine Möglichkeit. Dennoch habe ich mich gefragt, was dieses „Etwas“ denn sein könnte, das die Mediation so virtuos und spielerisch macht …
Aus der systemischen Beratung weiß ich, dass die Fragetechnik ein besonderes Werkzeug ist. Jeder Mensch ist Teil eines beobachtenden Systems. Erkennen, Wahrnehmen und Handeln (Verhalten) gehören zusammen. Wenn sich zwei Menschen begegnen, dann verlaufen zwei „innere“ Prozesse und ein „äußerer“ Prozess – parallel. Ein Mensch spricht ständig mit sich selbst – der innere Dialog. Er spricht dann aber auch mit dem anderen (äußerer Dialog). In der Therapie benötigt man daher Pausen bzw. Redepausen, um sich innerlich zu sortieren. Ziel: die angemessen ungewöhnliche Frage! Eine sog. „Wunderfrage“ kann dabei manchmal „unangemessen“, aber auch „angemessen ungewöhnlich“ sein. Je nach dem Prozess, in dem ich mich befinde. Wenn ich die Frage zu einem „falschen“ Zeitpunkt stelle, habe ich keinen Gewinn. Als Berater bzw. Therapeut muss ich daher die „richtige“ Stelle/den „richtigen“ Zeitpunkt (er-)finden. Mit mehr Erfahrung kann ich diesen Punkt erreichen.
Angemessen ungewöhnliche Fragen stellen für den anderen aber immer eine „Störung“ seiner „Integrität“ dar. Er kann sich vor dieser Störung verschließen und sich dadurch schützen; er bewahrt quasi seine „Integrität“. Er kann aber auch die „Störung“ zulassen, was zu einer Offenheit oder sogar „Öffnung“ führt. Normalerweise besitzt jeder Mensch das grundlegende Interesse, auch während einer Mediation seine „Integrität“ zu bewahren. Was ich also sage oder tue, bestimmt, ob er offen ist oder sich verschließt. Und das hat Konsequenzen für den weiteren Verlauf der Mediation.
In der Kommunikation können wir auch zwei Arten von „Veränderung“ ausmachen. Die erste Veränderung bezieht sich auf das VERHALTEN einer Person und ist von außen „instruiert“; die zweite Art von Veränderung kommt von innen und betrifft die Aspekte des ERKENNENS und WAHRNEHMENS. Dadurch werden die Prämissen des Handelns überhaupt erst erweitert. Die erste Art der Veränderung erlebt man als Bedrohung seiner Integrität; die zweite Art von Veränderung tritt ein, wenn es zu einem Freiraum für den Gedankenaustausch von zwei oder mehreren Personen kommt. Erst unter diesen Umständen kann es zur Entwicklung neuer Ideen des Erkennens oder des Wahrnehmens oder des Handelns kommen. Oder auch zu „neue(n) Vorstellungen über das Ausnutzen der Möglichkeiten, die das eigene Repertoire schon bereithält“, wie der norwegische Therapeut Tom Andersen betont. Der Ausspruch von Harold Goolishan „Hör darauf, was sie wirklich sagen!“ ist daher auch in der Mediation zielbringend. Nach der konstruktivistischen Vorstellung erzeugt nämlich jeder Mensch SEINE Version einer Situation. Daher habe ich als Mediator darauf zu achten, dass der andere womöglich eine andere Version der Situation hat, als ich sie einschätze. Das macht die Intervention so „spannend“.
Wir können – auch als Mediator – nur dann hilfreich „mitwirken“, wenn das Gespräch eine Neugier weckt. Sie ist es, die einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Mediation leistet. Damit ist genau dieses „Etwas“ gemeint, das den Ablauf der Mediation so entscheidend verändern kann. Es sind Fragen oder „Einschnitte“, die eben keine gewöhnlichen oder gar „banalen“ Fragen sind. Ich meine damit ANKNÜPFUNGEN.1)
Die Überlegung, die ich mir mache, ist diese: Auf welche ANKNÜPFUNGEN beziehe ich meine Fragen im Prozess der Mediation? „Anknüpfungen“ können etwa sein: Art der Wortwahl, Stimmlage, Körperbewegungen und anderes mehr. Oder besser gefragt: Über was sollte am ehesten von dem gesprochen werden, was ich gehört habe? Was ist die ANKNÜPFUNG? Gerade in der Ausbildung habe ich gemerkt, dass dies die schwierigste Übung oder das größte Problem in der Mediation darstellt. Dass wir in der Ausbildung (1. Semester) weniger davon gehört haben, mag der Tatsache geschuldet sein, dass solche ANKNÜPFUNGEN auch gar nicht erschöpfend genug vermittelt werden können oder könnten. Sie ergeben sich aus der Situation selbst – und sind oftmals intuitiv.
Ich kann um eine genauere Erläuterung der Worte bitten; ich kann nach einem bestimmten Vorfall oder nach den Umständen fragen; ich kann nach den Folgen eventueller Veränderungen fragen. Immer aber ist es die ANKNÜPFUNG, nach der ich – manchmal herzringend – suche. ANKNÜPFUNGEN können, meines Erachtens, aber kein eigentliches „Werkzeug“ der Mediation sein; sie sind irgendwie „nicht greifbar“ – wie etwa das „offene Fragen“, das „Loopen“, das „Verbalisieren“ oder das „Fokussieren“. ANKNÜPFUNGEN entziehen sich jeglicher „wahrnehmbaren“ Realität. Und doch existieren sie. Immerhin beantworten sie mir u.a. die Frage, wie ich in einer bestimmten Phase des Gesprächs eine „bedeutsame Konversation“ führen kann, die dem anderen hilft, sich über manches klarer zu werden. Und die mir als Mediator hilft, den Prozess der Mediation „fließen zu sehen“, ohne dass ich bewusst selbst steuere. Es ist die ANKNÜPFUNG und die „richtige“ Frage, die die Mediation „im flow“ halten! Vielleicht hilft es zu wissen, welche Fragen wir nach welchen ANKNÜPFUNGEN stellen können oder sollten. Vielleicht ist das ein Punkt im Curriculum, der die Ausbildung noch ergänzen könnte.
Als Mediator warte ich auf eine Pause im Redefluss des Medianden. Vielleicht habe ich bereits meine ANKNÜPFUNG gefunden. Jedenfalls ist sie etwas Bedeutsames, das mir im Gedächtnis haften geblieben ist. Aber ist es schon die ANKNÜPFUNG, nach der ich „Ausschau“ gehalten habe? Kann ich überhaupt nach einer ANKNÜPFUNG Ausschau halten? Oder ergibt sie sich intuitiv aus dem Gehörten? BOSCOLO/CECCHIN/HOFFMANN und PENN definieren eine „Anknüpfung“ wie folgt: „Eine Anknüpfung ist ein Ausdruck des Bedeutungssystems … Sie kann in vielen Formen auftreten: als eine Idee, ein Stichwort, ein Thema oder ein Stück analogen Verhaltens. Welche Form sie auch haben mag, sie wirkt wie ein Einschnitt“. Tom Anderson sieht in der Anknüpfung daher eher eine „Einladung zur Fortsetzung des Dialogs“. Daher wird die ANKNÜPFUNG zur „Grundlage für die nächste Frage“.
In der Mediation wissen wir nie im Voraus, welcher Gesprächsverlauf sich ergibt. Es ist spannend und „mühselig“ zugleich, die ANKNÜPFUNG für die nächste Frage zu finden. Es gibt zwar viele Möglichkeiten der ANKNÜPFUNG. Aber welche wähle ich? Tatsächlich lädt jede ANKNÜPFUNG dazu ein, einen neuen Gesprächspfad zu wählen. Das ist fast wie Mind Mapping – oder wie die vielen Möglichkeiten beim Schach. Jeder Zug erfährt seine Eigendynamik. Und doch gibt es oft den „idealen“ Zug, der in wenigen Zügen zum Schachmatt führt. Mit den ANKNÜPFUNGEN ist es, meines Erachtens, ähnlich. Sie können helfen, von Windows 1 zu Windows 2 zu wechseln oder aber auch „nur“ die Interessen hinter den Positionen zu „generieren“.
Dem Mediator bleibt es überlassen, welche ANKNÜPFUNG er wählt. Manchmal könnte er es selbst nicht erklären, warum er diese genommen hat, aber jene nicht. Es ist also mehr Intuition als Absicht, die dahinter steht. Trotzdem gibt es REGELN für ANKNÜPFUNGEN, wie ich sie aus der Systemischen Beratung her ableiten kann:
Regel 1:
Gehe keine ANKNPÜPFUNG an, die dir als Mediator selbst unangenehm ist.
Regel 2:
Lass deine ANKNPÜFUNG eine gewisse „Neugier“ enthalten. Denn Neugier führt zur Erforschung und Erfindung alternativer Sichtweisen.
Regel 3:
Angemessen ungewöhnliche Fragen erzeugen mehr ANKNÜPFUNGEN. Fragen, die „zu gewohnt“ sind oder „zu ungewöhnlich“ stoppen eher den Dialog. Sie erzeugen keine „Spannung“ bzw. beschränken die Offenheit des anderen! Tom Andersen sagt: „Je weniger unsere Fragen ankommen, umso stärker drängeln wir“.
Regel 4:
Es gibt viele ungewöhnliche Fragen, die man bei einer ANKNÜPFUNG stellen kann. Es gibt nicht nur eine einzige. Jede Frage aber steuert die Richtung der Diskussion.
Regel 5:
Wir müssen die Unterscheidung zwischen „Beschreibung“ (Angelegenheit) und „Erklärung“ (Auffassung über die Angelegenheit) sehen. Entsprechend ist die ANKNÜPFUNG. Tom Andersen sieht sogar, dass wir als Therapeut (und also auch als Mediator) Angelegenheiten „weder beschreiben noch erklären können“; wir beschreiben vielmehr die Beschreibungen und Erklärungen der Klienten bzw. Medianten – und wir versehen unsere Beschreibungen (ihrer Beschreibungen und Erklärungen) mit vorläufigen Erklärungen.
Regel 6:
Wichtig ist es, Fragen zu stellen, die eine doppelte Beschreibung erzeugen.
Beispiele:
„im Vergleich zu“
(„Wie ist es jetzt, im Vergleich mit damals?“ Unterschied in Zeit = Veränderung)
„Wer mochte es am liebsten?“ oder „Wer war am besorgtesten?“ (Unterschied in der Beziehung)
„in bezug auf“ …
„anders als“..
Regel 7:
Es gibt zahlreiche Frage-Typen, die eine ANKNÜPFUNG implizieren. Beispiele sind: Fragen nach Erklärungen („Wie kann man das verstehen?“ „Wieso passierte das zu diesem Zeitpunkt?“), Fragen nach verschiedenen Konversationen („In welchem Ausmaß sind die Ansichten verhandelbar?“ „Wer hat mit wem wie über welches Problem gesprochen?“), Zukunftsfragen (besonders in der „Mailänder Gruppe“ der Familientherapie – „Wird das immer so sein?“ „Falls es sich ändert, wann wird das am ehesten eintreten?“)
Das sind nur einige Gedanken zum Thema „ANKNÜPFUNG“. Dass ich die einzelnen Punkte „Regel“ genannt habe, mag man mir nachsehen. Ich fand keine treffendere Bezeichnung. Das meiste ist nicht auf meinem eigenen „Hirn“ gewachsen. Mich hat vor allem das Buch von Tom Andersen „Das Reflektierende Team. Dialoge und Dialoge über Dialoge“ zu diesem Beitrag motiviert. In meiner Ausbildung zum „Systemischen Berater“ habe ich viele Parallelen zur Ausbildung in der „Integrierten Mediation“ gefunden. Das war sehr fruchtbringend für mich und meine persönliche Entwicklung.
Hugo Kopanitsak
07.09.2011, 1. Semester zum IM*
1) Der Begriff „Anknüpfung“ findet sich beispielsweise im Internationalen Privatrecht (IPR) als Verknüpfung eines internationalen Sachverhalts mit der Bestimmung, welcher Rechtsordnung (Statut) die maßgeblichen Regeln entnommen werden, z. B. der mit einem Ausländer geschlossenen Ehe mit dessen Heimatrecht.
Definition der „Anknüpfung“: etwas ( mit jemandem ) anknüpfen – einen Kontakt, eine Verbindung zu jemandem herstellen; erste Geschäftskontakte anknüpfen; etwas so beginnen, dass es eine Verbindung zu etwas oder einen Zusammenhang mit etwas hat (vgl. http://www.definition-of.net/)
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