Es geht es um die Frage nach der Professionalisierung der Mediation. Anlass für diesen Beitrag war mein Impulsvortrag anlässlich des Autorentreffens der FU Hagen am 5. März 2020. Das Thema ist aktuell. Gerade hat Gräfin von Schlieffen ein Buch herausgegeben, das sinnvoller Weise: „Professionalisierung und Mediation“ heißt und nicht etwa: „Professionalisierung der Mediation“.

Wir müssen im Klaren darüber sein, dass die Akademisierung keinen Selbstzweck hat und letztlich nur durch eine Professionalisierung gerechtfertigt und ermöglicht wird. Deshalb ist es unerlässlich, beides im Blick zu haben. Die Professionalisierung einerseits und die Akademisierung andererseits. Eine berufliche Qualifikation drückt sich im Können aus und erweist sich am besten über die Nachfrage. Ist eine solche nicht erkennbar, mag das Können auch über die Ausbildung impliziert sein. Da die Ausbildung nicht ohne weiteres von außen erkennbar ist, bedarf es schließlich eines Nachweises über die Absolvierung einer adäquaten, dem beruflichen Können zugrunde liegende Ausbildung. Autodidakten fallen somit aus dem Raster. Dem Ausbildungsnachweis kommt eine so starke Bedeutung zu, dass für manche Studenten (leider nicht nur für diese) das Zertifikat oft als wichtiger erscheint als die Ausbildung selbst. „Wozu brauch ich das Wissen, ich hab doch ein Zertifikat!“

Tatsächlich frage ich mich, ob dem Zertifikat nicht allzu viel Bedeutung beigemessen wird. Als Beispiel dafür möchte ich eines meiner ersten Zertifikate erwähnen, das ich je selbst erworben habe. Sie dürfen mich also „Master of peace“ nennen, bitte. Das klingt jedenfalls besser als „anerkannter Kriegsdienstverweigerer“ und hebt gleichzeitig hervor, dass es sich um eine Prüfungsurkunde handelte.

Sie müssen wissen, dass es zu meiner Zeit noch einer Gewissensprüfung bedurfte, damit eine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erfolgen konnte. Ja, ich habe mich ausbilden lassen. Ein Rhetorikkurs von nicht mehr als 3 Stunden. Geprüft wurde mein Gewissen. So der Plan. Eigentlich waren es meine Rhetorik-Kenntnisse, die zur Prüfung anstanden. Sie drückten sich in meiner Überzeugungskraft aus. Bescheinigt wurde jedoch mein reines Gewissen, also meine innere Haltung! Meine Mitmenschen (ich denke da hauptsächlich an meine Frau) schätzen mich und mein Gewissen übrigens unabhängig von diesem Zertifikat ein. Die Anerkennung ist bis heute zeitlos gültig. Was wird bescheinigt, wenn wir von der Akademisierung oder der Professionalisierung der Mediation sprechen und dafür eine Zertifizierung verlangen?

Nur die Eingeweihten wissen, dass es letztlich nicht das Zertifikat ist, sondern die vorausgegangene Ausbildung auf die es ankommt. Schon Epiktet wusste, dass Bildung frei macht. Von einem Zertifikat war keine Rede. Bezogen auf die (Aus-) Bildung die Akademisierung sicherlich ein Beitrag zu mehr Freiheit. Darauf muss ich nicht weiter eingehen. Ich frage mich aber jetzt: Was bedeutet dann die Professionalisierung. Schränkt sie die Freiheit etwa wieder ein?

Laut Wikipedia versteht man unter Professionalisierung die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf. Dort wird ausgeführt:

Eine Professionalisierung geht oft mit einer Steigerung der Effizienz einher. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Im engeren Sinne meint Professionalisierung die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession (von lateinisch professio „Bekenntnis/Gewerbe/Beruf“). Als Profession wird dabei ein akademischer Beruf mit hohem Prestige betrachtet, der vor allem wegen der Herausforderung, die in der Aufgabe liegt, ausgeübt wird. Weitere Merkmale einer Profession sind: ein hoher Grad an beruflicher Organisation (Standesorganisation), persönliche und sachliche Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit in der Tätigkeit sowie eine eigene Berufsethik. Die Profession wird abgegrenzt gegen den Job (befristete Tätigkeit, ausschließlich zum Gelderwerb) und zum Beruf, der den Lebensunterhalt auf Dauer sichern soll. Zu den Professionen gehörten zunächst nur wenige Berufe wie Arzt, Jurist, Geistlicher. Andere Berufe wie Beratung (Counseling) oder Soziale Arbeit befinden sich auf dem Weg zur Profession (Stichwort Wissensgesellschaft, Verwissenschaftlichung). Es gibt verschiedene Modelle, anhand derer Kriterien für eine Profession festgelegt werden können.

Nach dem „Attributemodell“ – auch „indikationstheoretisches Modell“ oder „berufsstrukturelles Modell“, welches aus der Zeit zwischen dem 15. und 19. Jh. stammt, sind die Möglichkeiten für einen Beruf, eine Profession zu werden, eng determiniert. Daher erklärt sich der jahrhundertelange alleinige Professions-Anspruch der Medizin, Jurisprudenz und Theologie. Die zur Professionalität führenden Kriterien sind:

wissenschaftlich fundiertes Sonderwissen, spezielle Fachterminologie

langandauernde, theoretisch fundierte Ausbildungsgänge auf akademischem Niveau (staatl. Lizenz)

berufständische Normen (code of ethics), Eigeninteressen gesetzlich beschränkt (non-profit)

exklusives Handlungskompetenzmonopol

Tätigkeitsbereich besteht aus gemeinnützigen Funktionen, Aufgaben von grundlegender Bedeutung

Autonomie bei der Berufsausübung (Fach- und Sachautorität)

Selbstkontrolle durch Berufsverbände, Interessenvertretung

In neuerer Zeit sind Professionsmodelle entstanden, die auch den sozialen und strukturellen Entwicklungen der (nach-)industriellen Gesellschaft gerecht werden. Dies ermöglicht weiteren Berufen, mit berechtigtem Professionsanspruch (wie z.B. Soziale Arbeit), eine solche zu werden. Die neueren Modelle konzentrieren sich auf Punkt 1 und Punkt 3 des »Indikationstheoretischen Modells«, also auf die wissenschaftliche Begründungspflicht und den Berufskodex. Beispiele hierfür sind zum einen das »Modell der reflexiven Professionalität« nach Dewe/ Otto und das »Wert- und wissenschaftstheoretische Modell« nach Obrecht

Die vorgenannten Modelle beschreiben weniger den Zweck als den Rahmen in dem eine Professionalisierung stattfinden kann. Ihre Zweckhaftigkeit, ergibt hingegen folgende Anforderungen:

Dauerhaftigkeit
Diese erfordert eine gewisse Sesshaftigkeit, Ansprechbarkeit, Erreichbarkeit, Finanzierbarkeit, Nachfrage, …

Nachhaltigkeit
Um Nachhaltigkeit zu erzielen bedarf es eines Qualitätsmanagements, eines Feedbacks, der Supervision, …

Kalkulierbarkeit
Dazu bedarf es einer Messbarkeit, Einteilbarkeit, Planbarkeit, …

Steuerbarkeit
Sie erfordert Vorhersehbarkeit, Erfahrbarkeit, Wissen, Erzielbarkeit, ….

Leistbarkeit
Jetzt kommt es auf das Wissen, das Können, und die Wirtschaftlichkeit an, …

Die sich aus diesen Überlegungen ergebende, spannende Frage ist, ob und wie die vorgenannten Modelle, das Attributemodell und die neueren Modelle  dazu beitragen können, die beruflichen Anforderungen an die Praxis zu erfüllen. Und jetzt kommt wieder die Akademisierung ins Spiel.

Nach außen erfolgt der Nachweis der erworbenen beruflichen Qualifikation über ein Zertifikat. Das Zertifikat weist die Ausbildungsstätte, den Inhalt und die Ausbildungsdauer nach. Mitunter auch die Art und Weise, wie die Ausbildung erfolgt ist. Im Bereich der Mediation kommt der Zertifizierung eine immer größere Bedeutung zu. Die Kompetenz wird mehr und mehr an der Ausbildungsdauer festgemacht.

In der Mediation ist die Notwendigkeit und Aussagekraft eines Zertifikates umstritten. Es gibt die verschiedensten Argumente, wozu dieses Zertifikat erforderlich sei. Tatsächlich kann es nicht mehr nachweisen als eine absolvierte Ausbildung. Wozu brauche ich das, wenn ich mich doch ausgebildet habe? Wie schon Epiktet sagte, bringen auch die Schafe ihr Futter nicht zu ihrem Hirten, um ihm zu zeigen, wieviel sie gefressen haben. Sie verdauen vielmehr ihre Nahrung und liefern dann Wolle und Milch. Will sagen, dass es besser sei, das erworbene Können anzuwenden, anstatt mit der Ausbildung zu prahlen. Letzteres scheint in der Mediation ein Volkssport geworden zu sein. „Der hat ja nur eine 90 Stunden Ausbildung!“.

Angeblich ist das Zertifikat auch nicht zum Prahlen gedacht, sondern als ein unerlässliches Hilfsmittel für den Kunden. Er soll sich – ohne über Inhalt und Umfang der Ausbildung über die Qualifikation des Dienstleisters orientieren können.

Was bedeutet das Zertifikat für den Kunden?

Eigentlich nur, dass der Berufsträger eine Ausbildung absolviert hat. Es besteht jedoch die Vermutung, dass dem Zertifikatsinhaber aber eine dementsprechende Fähigkeit zu unterstellen ist.

Was bedeutet das Zertifikat für den Mediator?

Manchmal sieht es so aus, als sei das Mediatorenzertifikat eine Art Orden, ein Ritterschlag, eine menschliche und soziale Errungenschaft, ähnlich der Ernennung zum Richter. Das ist ein Beruf mit sozialem Ansehen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass es keine Errungenschaft bedeutet, Richter zu sein. Das ist aber ein anderes Thema.

Es wäre eine Illusion zu glauben, das Zertifikat könne irgendetwas anderes belegen als eben die absolvierte Ausbildung. Viel Ausbildung ist deshalb kein Beleg für hohe Leistungsfähigkeit sondern nur dafür, dass der Absolvent viel Zeit auf der Schulbank verbracht hat. Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit und des Könnens ist letztlich trotzdem von dem Kunde zu beurteilen. Seine Einschätzung setzt sich sodann gegebenenfalls über ein Zertifikat hinweg.

Solange der berufliche Erfolg noch nicht als Maßstab für eine Qualifikation herangezogen werden kann, gibt es kaum ein anderes Kriterium zur Beurtelunbg der Leistungsfähigkeit als eben die Ausbildung. „Ich hab immerhin 250 Stunden Ausbildung“ hört man allenthalben. Aber irgendwie ist es auch den Mediatoren bekannt, dass die reine Berechnung der Ausbildungsstunden noch keine Aussage über die Qualität der Ausbildung ergeben mag. Diese Information vermittelt sich dann über die Reputation des Ausbildungsinstitutes. Die Institute spüren das. Manche Institute und Akademien grenzen sich – wie zuvor die Mediatoren – deshalb über die Rufschädigung der Anderen ab. Dabei ist man sich auch nicht zu schade, universitäre und schulische Ausbildungen schlecht zu reden.

Kommen wir also zum Thema. Die Frage ist, ergibt eine akademische Ausbildung in der Mediation eine bessere oder eher eine schlechte Reputation. Die Antwort könnte lauten: „Es kommt darauf an bei welchem Verband Sie anfragen.“ Um dieser Frage jedoch ernsthaft nachzugehen, ist zunächst zu klären, was unter einer Akademisierung bzw. einer Akademie überhaupt zu verstehen ist.

Wikipedia sagt dazu: Eine Akademie beschreibt ein breites Spektrum von öffentlich geförderten und privaten (so genannten „freien“) Forschungs-, Lehr-, Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen. Der Begriff leitet sich vom Ort der Philosophenschule des Platon (siehe Platonische Akademie) ab, die sich beim Hain des griechischen Helden Akademos in Athen befand. Sie bestand – wenn auch nicht durchgängig − bis zu ihrer Schließung durch Kaiser Justinian I. im Jahr 529 (siehe auch die 1926 gegründete moderne Akademie von Athen).

Akademien können folgendermaßen unterteilt werden:

Akademien der Wissenschaften

Anstalten zur Förderung wissenschaftlicher und künstlerischer Studien

Unvollständig ausgebaute Hochschulen

Die ersten beiden Einrichtungen unterscheiden sich von den vielfach verwandten und verbundenen Universitäten dadurch, dass sie keine, oder keine staatlichen Ausbildungsstätten sind, ihre Ausrichtung nicht auf praktische Zwecke gerichtet ist, sondern die wissenschaftliche Arbeit im wesentlichen um ihrer selbst willen betreiben.

Welche Funktion erfüllt die Akademisierung in der Mediation?

Eine Akademisierung, im Verständnis einer wissenschaftlich fundierten Wissensvermittlung, trägt auf jeden Fall dazu bei, die Pluralität der unterschiedlichen Mediationsansätze nachzuweisen. Der wissenschaftliche Hintergrund verlangt eine systematische Verortung des zu lernenden Stoffes und damit einher gehend die Erarbeitung fundierter Methoden zu seiner Anwendung. Die Wissenschaftlichkeit mag auch halfen, den scheinbar an Gutmenschtum und Glaubensrichtlinien ausgerichteten Dogmatismus mancher Mediatoren zu relativieren und somit praxistauglich auszurichten. Dogmen wie die Freiwilligkeit, die mangelnde Entscheidungskompetenz des Dritten werden relativiert und damit gezielt anwendbar. Oft begegne ich in Supervisionen der Situation, in der Rollenspielmediatoren ihre Rollenspielmedianten mit der Frage konfrontieren: „Sind sie freiwillig da?“ deuten auf eine sture Abarbeitung von Verfahrensvoraussetzungen hin, wie wir sie als Juristen gelernt haben. Sie gehen allerdings in dieser Form an dem Sinn der Mediation vorbei. Neben dem Ansammeln von Wissen unterstützt die Akademisierung den wissenschaftlichen Diskurs sowie die Forschung. Keine Frage dass eine Mediationsausbildung auch Praxis- und Übungsanteile aufweisen muss. Mithin nutzt eine Akademisierung der Mediation, indem sie von Engstirnigkeiten befreit, Hintergrundwissen vermittelt und Quellennachweise einbringt. Ihr Risiko ist eine Verkopfung und Theoretisierung. Es besteht die Gefahr einer Überreglementierung und die generelle Frage, wie eine Theoretisierung mit der Frage der Haltung umzugehen vermag. Ich erinnere an mein erstes Zertifikat, wo es durch theoretisches Wissen und Methodik  möglich wurde, die meinem Gewissen zuzuschreibende innere Einstellung – soll ich jetzt eher sagen darzustellen oder soll ich es nennen: zu überwinden?

Leider entwickelt sich die Mediation nicht wie es ihr – oder den Menschen schlechthin – am Besten zustünde. Die unterschiedlichsten Interessen (-Verbände) üben Missbrauch. 2002 veröffentlichte ich dazu „Mediation den Mediatoren“, 2009 war es der Beitrag „die Schlacht um die Mediation“. Es ist menschlich was da geschieht und es drängt sich die Frage auf, ist der Mensch überhaupt bereit ist für die Mediation? Vielleicht kann die Wissenschaft dazu beitragen, dass es irgendwann einmal so sein wird.  Diese Frage muss aber jeder für sich selbst beantworten. All diese Gedanken zusammenfassend gibt die Mediation selbst die Antwort darauf, ob und inwieweit sie einer Akademisierung bedarf.

Ein Mediator sollte sich davor hüten, seine Kompetenz von einem Zertifikat abhängig zu machen. Es wäre auch verräterisch zu behaupten: „Der hat ja kein Zertifikat also kann es doch kein Mediator sein!“ Denn wir wissen, dass ein Zertifikat nur die Ausbildung, nicht das Können und keinesfalls die Haltung des Mediators bescheinigt. Welche Haltung habe ich, wenn ich mich darüber hinwegsetze und andere nach solchen Äußerlichkeiten qualifiziere? Habe ich dann bewiesen, dass ich die Haltung eines Mediators habe auch wenn meine Ausbildung mehr als 1000 Stunden betragen hat?

Arthur Trossen
Photo by roblesse (Pixabay)