Die Schlagzeile heute: „Lucke: Merkel stempelt Menschen als fremdenfeindlich ab!“ Veröffentlicht in FAZ Online am 2.1.2015. So schafft man eine Serie. Nun ja, wir wollen es mal als ein Zitat stehen lassen und als die Meinung von Herrn Lucke auffassen, wenngleich wir uns fragen, ob und wer alles durch diese Äußerung sozusagen in einem Federstreich auch noch abgestempelt wird. Die Aussage ist in dieser Verallgemeinerung zweifellos nicht korrekt. Ein Mediator würde fragen: Was will Herr Lucke über sich sagen, wenn er so etwas behauptet?
Er würde fortführen können: Was will die FAZ über sich sagen, wenn sie über so etwas in dieser Form berichtet? Was will Frau Merkel über sich sagen, wenn sie bewertet statt Fragen aufzuwerfen und zu beantworten? Aber das soll nicht unser Thema sein.
Ein Mediator interessiert sich immer für die Motive. Er bildet Hypothesen darüber, was der Antrieb des Menschen sein könnte, etwas zu tun oder zu unterlassen. Also fragt er nach den Hypothesen, die einer solchen Äußerung zugrunde liegen könnten. Mögliche Hypothesen sind:
- Mir ist es wichtig, dass man mir / denen zuhört und sich mit wichtigen Fragen auseinandersetzen
- Mir ist es wichtig, Aufmerksamkeit zu erregen und da kommt das Thema gerade recht, weil es Mehrheiten verspricht
- Mir liegt die Fragestellung am Herzen und ich denke, etwas beitragen zu können
- …
Der Stein des Anstoßes war folgendes Zitat der Kanzlerin: „Deshalb sage ich allen, die auf solche Demonstrationen gehen: Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen! Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!“
Für einen Mediator drückt der Satz nicht mehr aus als einen Appell ’solche Demonstrationen‘ zu vermeiden. Was solche Demonstrationen sind ist der Phantasie des Lesers überlassen. Was Frau Merkel damit assoziiert, bleibt verschlossen. Ein Mediator stolpert bereits über die Wortwahl ‚Demonstrationen‘. Wurde die Veranstaltung als solche deklariert oder ist es die Bewertung von Frau Merkel? „Demonstrationen?“ wird der Mediator fragen, „Was wird deutlich gemacht und worauf wird dort hingewiesen?“, denn das Wort Demonstrieren bedeutet nichts anderes. Dann stolpert er über das Wort ’solche‘. Ein Mediator würde also nachfragen: „Was meinen Sie mit ’solche Demonstrationen‘?“. Da gibt es Spielraum in die eine wie in die andere Richtung. Der hörbare Appell, anderen nicht zu folgen, beinhaltet natürlich auch den unausgesprochenen Appell statt dessen dem Appellanten zu folgen. Gründe für das Eine erschließen sich aus der Aussage aber ebenso wenig wie für das Andere. Allerdings kommt es auf Gründe auch nicht an. Das ist viel zu kompliziert. Emotionen klappen besser. Die Begründung ist deshalb nicht mehr als eine Vermutung. Ihre rhetorische Gefahr: sie wird wie ein Fakt dargestellt.
Man könnte die Aussage auf den Kernsatz reduzieren: „Folgt nicht denen, die Hass im Herzen tragen“. Das würde wohl jeder unterschreiben und ist deshalb auch nur ein langweiliger Konsens. Dann mag man herausstellen, dass die Kanzlerin nicht untersagt hat, auf solche Demonstrationen zu gehen. Ein Mediator achtet nämlich auch auf das, was nicht gesagt wird, um das Bild abzurunden. Zuhören gesteht sie also durchaus zu. Lediglich irgendwem oder -was ‚folgen‘ sollte man nicht, lautet ihre Mahnung. Das führt zu der Frage: „Was bedeutet folgen für Sie, Frau Merkel, wem sollte man nicht folgen? Geht es überhaupt darum jemandem zu folgen? Was sind die Kriterien für diejenigen, denen man folgen soll?“. Vielleicht findet sich ein gemeinsamer Nenner, wenn die Aussage von Frau Merkel auf einen Kern gebracht und positiv formuliert wird: „Folgt denen die guten Herzens sind! Ist es das, was Sie sagen wollten?“, könnte sich ein Mediator erkundigen (wenn das Gespräch den entsprechenden Verlauf genommen hat).
Die Frage ist, worauf es sich bezieht, wenn Lucke sagt, dass für Fremdenfeindlichkeit kein Platz in Deutschland sei. Lucke erklärt dies mit einem Vorwurf: „Frau Merkel stempelt die Menschen als fremdenfeindlich ab, ohne ihnen Gehör schenken zu wollen“. Schon wenn man hinterfragt, wer die abgestempelten Menschen seien, weicht sich diese Aussage in substanzlosen Pauschalierungen auf, die damit an Angriffsfähigkeit verlieren. Vielleicht will Lucke mit dem Hinweis, dass in Deutschland kein Platz für Fremdenfeindlichkeit sei nur ein Bekenntnis abgeben. Aber welches? Sind Islamisten eigentlich Fremde? Ok, Lucke möchte, dass man den Menschen zuhört, die solche Veranstaltungen durchführen oder sind es die, die dort zu Wort kommen oder wem soll wobei zugehört werden? Soll auch jemand den Islamisten zuhören? Vielleicht kommt der Satz: „Aber damit diese (Fremdenfeindlichkeit) nicht entsteht, müssen Integrationsprobleme sachlich und konstruktiv diskutiert werden können“, etwas besser auf den Kern. Probleme lösen statt Feindlichkeit aufbauen. Das könnte der Satz eines Mediators sein. Warum redet man dann nicht über Integrationsprobleme sondern beschimpft sich, was ja eine form der Feindlichkeit ist? „Wären Integrationsprobleme ein Thema über das wir sprechen sollten?“ würde der Mediator in die Phase zwei einbauen.
Der Artikel in der FAZ setzt dann fort mit Sympathie- und Antipathiebekundungen, halt mit dem Abstempeln, was im Grunde nicht mehr besagt, als dass man Menschen in Kategorien einteilen, einem Anführer zuordnen und streiten will. Worüber? Na über das, was sich gerade anbietet.
(c) Foto: א (Aleph); Creative Commons Lizenz; wiki commons
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