Können Wildschweine, Rothirsche oder Grossraubtiere ein Thema der Mediation sein? Diese spannende Frage hat sich René Urs Altermatt in seiner Facharbeit im Rahmen der Mediationsausbildung an der Universität St. Gallen, Schweiz, gestellt (1). Nachfolgendes Interview gibt einen Einblick in die Arbeit.
Welche Rolle spielt Mediation im Umweltbereich?
Im Sog neuer politischer Themenfelder hielt die Mediation auch Einzug in den Umweltbereich, ab den 70er-Jahren in den USA als „environmental mediation“ und seit Mitte der 80er-Jahre in Europa und der Schweiz als Umweltmediation. Die vielschichtigen Entwicklungen an den Schnittstellen von Gesellschaft und Umwelt, von Verwaltungs- und Privatinteressen, von öffentlich wirksamen Massnahmen staatlicher oder privater Institutionen und Organisationen führten zum weitergefassten Begriff der Mediation im öffentlichen Bereich.
Wie ist das Wildtiermanagement davon betroffen?
Das Wildtiermanagement ist Teil des generellen Artenmanagements und betrifft in der Schweiz rund 450 wildlebende Säugetier- und Vogelarten und deren Lebensräume. Das Wildtiermanagement befasst sich im weitesten Sinne mit allen Massnahmen, die ergriffen werden, um Wildtierpopulationen im Sinne einer klar umrissenen Zielsetzung in der Kulturlandschaft zu steuern. Es entfaltet seine Wirkung im Spannungsfeld unterschiedlicher, oft diametral entgegengesetzter Nutzungs- und Schutzansprüche der Gesellschaft.
Welche Rolle spielt die Mediation im öffentlichen Bereich in der Schweiz?
In der Schweiz kommt die Mediation im öffentlichen Bereich sehr zurückhaltend zur Anwendung. Es wird die Meinung vertreten, dass die traditionell konsensorientierte Vorgehensweise im öffentlichen Bereich beziehungsweise bei der Vorbereitung von Verwaltungsentscheiden in der Schweiz einer breiteren Anwendung der Mediation entgegensteht. Umfrageergebnisse des Schweizerischen Dachverbandes Mediation SDM zeigen, dass nur rund 3% aller im Jahr 2008 durchgeführten Mediationen im öffentlichen Bereich stattfanden.
Welchen Fragen gehen Sie in Ihrer Arbeit nach?
Ist der Bereich Wildtiermanagement beziehungsweise das zugrundeliegende Jagdrecht ein für die Mediation grundsätzlich geeignetes Anwendungsfeld? Hilft ein erweitertes Verständnis der Mediation als Aushandlungs- und Vermittlungsmethode im Dienste des öffentlichen Interessenausgleiches, die Diskrepanz zwischen Potential und praktischer Anwendung der Mediation im öffentlichen Bereich zu verringern? Werden andere Methoden der Streitbeilegung bevorzugt, da die Mediation den nicht-staatlichen „Stakeholdern“ des Wildtiermanagements (z.B. nationale Schutz- und Nutzungsorganisationen) wenig oder nicht bekannt beziehungsweise vertraut ist?
Zu welchem Schluss kommen Sie in der ersten Frage?
Das eidgenössische und das kantonale Jagdgesetz lassen den Behörden weitgehenden Handlungs- und Entscheidungsspielraum bei der Realisierung des Wildtiermanagements. Die Jagdgesetze bauen auf Eigenverantwortung und Kooperationsbereitschaft der betroffenen Parteien. Sie sehen in zahlreichen Belangen konsensuale Lösungswege vor. Die jagdrechtlich definierten Verfahren sind – vorab und explizit auf kantonaler Ebene – von Interessenausgleich, Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeiten geprägt. Das Wildtiermanagement eignet sich somit als Anwendungsfeld der Mediation.
Wie zeichnen sich Konflikte im Bereich Wildtiermanagement aus?
Die Konflikte im Bereich des Wildtiermanagements weisen die klassischen Kennzeichen von Umweltkonflikten aus. Die Sachverhalte sind wissenschaftlich-technisch sehr komplex. Es gibt viele Parteien. Die Interessen werden durch Repräsentanten der jeweiligen Parteien (Verbände, Institutionen etc.) vertreten. Es sind oft Macht- und Ressourcenungleichgewichte feststellbar. Die Parteien können nicht völlig frei über den Streitgegenstand verfügen. Sie sind für die Umsetzung von Verhandlungsergebnissen auf die politisch-administrative Entscheidbehörde angewiesen. Die Einigungsergebnisse dürfen sich nicht über den Rahmen der entsprechenden Gesetzgebungen hinausbewegen. Die Konflikte sind politisch mitbestimmt und öffentlich. Sie sind von ideologisch und weltanschaulich geprägten Wertekonflikten beeinflusst. Sie wirken sich in der Fläche aus und betreffen die gesamte Bevölkerung.
Welche Rahmenbedingungen gilt es im öffentlich-rechtlichen Bereich zu beachten?
Der Mediation entgegen kommt das sich in der Neuzeit wandelnde Verhältnis zwischen Behörden und Privaten. Will die Behörde nachhaltig wirksame und breit akzeptierte Vollzugsentscheide umsetzen können, steigt sie vom „hoheitlichen Podest“ herab und setzt sich mit den jeweils sachverhalts- beziehungsweise verfahrensbetroffenen Parteien an den Verhandlungstisch. Sie beteiligt somit Private an der Entscheidfindung und öffnet damit ein „Einfallstor“ für die Konsensbildung und die Mediation als Mittel zur Einigung. Die Behörde bleibt selbstverständlich letztverantwortlich (ergebnis- und verfahrensverantwortlich). Der Einigungsprozess dient der Entscheidvorbereitung. Die Prozessergebnisse können in den Entscheid integriert werden, soweit sie sich im Rahmen des öffentlichen Rechts bewegen.
In welcher Weise könnte die Mediation im öffentlichen Bereich vermehrt zur Anwendung kommen?
Es wird in der Fachwelt vorgeschlagen, die Mediation im praktischen Alltag der Lösungsfindung integriert, kundennah und bedarfsgerecht einzuführen, das heisst sie gleichsam durch die offene Tür der laufenden Zusammenarbeit oder laufender Verfahren im öffentlichen Bereich bemerk- und erlebbar zu machen. Sie weicht dann allerdings von der „reinen“ Mediation ab. Duss-von Werdt hält pointiert fest, dass der Versuch, eine vakuumverpackte und steril gehaltene „richtige“ Mediation zu praktizieren, mit ziemlicher Sicherheit zum Scheitern verurteilt sei. Eine solche Mediation „reinen Wesens“ und „reiner Lehre“ verbiete sich selbst Beweglichkeit im Denken und Handeln. Und Arthur Trossen stellt fest, dass es sich bei der „reinen“ Mediation wie beim Gerichtsverfahren um ein „Low-Interest-Produkt“ handle.
Könnte hier also die integrierte Mediation eine wichtige Rolle spielen?
Ja, das könnte sie. Sie postuliert, die Rahmenbedingungen, den Bedarf und die Dynamik des jeweiligen Konfliktsystems im Geiste der Mediation flexibel und kreativ zu berücksichtigen. Sie positioniert sich nicht gegen die „reine“ Mediation, sondern versucht, die Prinzipien derselben im Rahmen eines Verfahrens, im weitesten Sinne gemeint als konfliktorientierte Sachbearbeitung, laufend einfliessen zu lassen. Sie hybridisiert gleichsam die Mediation mit dem jeweiligen Verfahren und schafft damit einen praktischen „Mehrwert“ für den Kunden.
Wo steht Ihrer Meinung nach die Mediation im öffentlich-rechtlichen Bereich?
Der Mediation werden zwar Chancen eingeräumt, die jedoch aufgrund der fehlenden Praxis (noch) wenig „greifbar“ sind. Die Mediation im öffentlich-rechtlichen Bereich bleibt vorerst eine „Black Box“. Diese Black Box zu erhellen, ist Aufgabe der Mediation. Die Mediation ist unterwegs, aber noch nicht am Ziel.
(1) Altermatt René Urs , Wildtiermanagement und Mediation. Facharbeit im Rahmen der Ausbildung „Mediation in Wirtschaft, Arbeitswelt und öffentlichem Bereich“ am Institut für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis der Universität St. Gallen (IRP-HSG), Schweiz, 2011 ( Wildtiermanagement und Mediation_Altermatt René Urs_2011(1) )
René Urs Altermatt ist Mitglied der neu gegründeten IM Schweiz, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Dachverbands Mediation (SDM-FSM) und beruflich als Jagd- und Fischereiverwalter des Kantons Aargau tätig.
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