Man muss sich nicht in eine Mediation begeben, um das Leben zu erfahren. Es genügt schon zu verreisen. Alles ist wunderbar. Ich bin rechtzeitig auf dem Flughafen. Stehe in der Schlange vor der Security. Normalerweise würde ich mich über so eine lange Schlange ärgern. Man hätte doch mehr Sicherheitspersonal bereitstellen können. Heute hatte ich aber genügend Zeit. Ich entschieße mich zur Gelassenheit und lese während ich anstehe die Nachrichten auf meinem iPhone. Einen Artikel über den CDU Parteitag in Leipzig hab ich gerade geöffnet. Spannend zu lesen, dass Herr Schäuble meint: „Freiheit gelingt nur, wenn es auch Regeln gibt, wenn es Grenzen gibt und die Regeln durchgesetzt werden!“ Ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst?
So beginnen meine philosophischen Überlegungen. Ganz in Gedanken ziehe ich den Mantel aus, als die Reihe an mich kam. Routinemäßig legte ich alles ab, was den Sicherheitsscanner auslösen könnte. Ich mag die ganze Prozedur nicht. Bis heute hab‘ ich noch nicht wirklich ein wertschätzendes Element darin entdecken können. Daran, dass ich als potenzieller Terrorist eingeschätzt werde, hab ich mich inzwischen schon gewöhnt. Früher hatte ich mich darüber geärgert. Heute sehe ich die Hilflosigkeit derer, die sich solch ein Procedere ausgedacht haben. Wer weiß aber, was wirklich dahinter steckt. Möglicherweise geht es auch um etwas ganz anderes. Heute haben diese Gedanken neue Nahrung bekommen. Als jemand, der sich nichts vorzuwerfen hat … Im Zeitalter der Überreglementierung muss ich korrigieren: Als jemand, der glaubt sich nichts vorwerfen zu müssen, nehme ich sogar die kleinen Döschen und Tuben mit den Flüssigkeiten aus meinem Kulturbeutel, damit der Sicherheitsbeamte sie in Augenschein nehmen kann. Sonst lasse ich sie immer im Koffer. In 95% aller Fälle bemerkt das niemand. Heute wollte ich mich kooperativ zeigen. Warum auch nicht? Alles war wie es sein soll. So glaubte ich wenigstens. Die Flüssigkeiten haben weniger als 100 ml und – was nicht nachvollziehbar aber wichtig zu sein scheint – auch die Behältnisse haben das passende Volumen. Damit das so ist, hatte meine Frau sogar ein Fläschchen mit Sonnenmilch umgefüllt, nur um den Flüssigkeitsbestimmungen zu entsprechen.
All der gute Wille wurde von dem Sicherheitsbeamten natürlich weder erkannt noch irgendwie gewertschätzt. Stattdessen forderte der mich auf, wieder nach draußen zu gehen, um einen durchsichtigen Plastikbeutel zu holen, in den ich meine Zahnpaste, das Deo und die Sonnenmilch hineinlegen sollte. Ich nehme an, der Plastikbeutel muss durchsichtig sein, damit man sehen kann was darin ist. Aber das konnte man doch so auch sehen. Ich verzichtete jedenfalls darauf, mich wieder anzuziehen, die Sachen, die ich schon auf dem Tisch verbreitet hatte wieder einzupacken und nochmals nach draußen zu gehen. Die Schlange hinter mir war inzwischen auch beachtlich lang. Hätte ich der Anweisung Folge geleistet, wäre ich ganz sicher zu spät zu meinem Flieger gekommen. Es war eine schlechte Idee, entschied ich mich. Ich fragte den Sicherheitsbeamten deshalb, was das Problem sei. „Sie müssen die Tuben in einen dieser durchsichtigen Plastikbeutel legen“ war die Antwort. Ich vergewisserte mich. „Sie verlangen also, dass die Zahnpaste, das Deo und die Sonnencreme in einem Plastikbeutel mitgeführt werden?“ Paraphrasierte ich. Um es wirklich deutlich zu machen, worum es hier geht fügte ich hinzu: „Sie sagen mir auch, dass ich die Sicherheitskontrolle nicht passieren kann, weil diese durchaus erlaubten und korrekt abgefüllten Flüssigkeiten sich nicht in einer durchsichtigen Plastiktüte befinden?“ Er bestätigte. „Sie werden verstehen, dass ich dies als schikanös empfinde“ fügte ich an. Ganz ruhig fragte ich: „Gibt es einen Sinn dafür, die hier vorgelegten und nicht zu beanstandenden Flüssigkeiten in einen durchsichtigen Plastikbeutel zu legen?“ „Es sind die Vorschriften“, bekam ich zur Antwort. Ich fragte mich, ob das jetzt überzeugend war. Aber dann bekam ich zu hören: „Die muss ich befolgen, auch wenn sie keinen Sinn machen“. Ich war dankbar, dass der freundliche Sicherheitsbeamte es nicht versucht hat, diesen Wahnsinn zu rechtfertigen. Er war wenigstens ehrlich. Und das erregte mein Mitgefühl. Tatsächlich, was hätte der arme Mann auch machen sollen? Vorschrift ist Vorschrift! Die Verantwortung war in dem Moment jedenfalls delegiert. Was kann der arme Mann dafür, dass sich Andere so einen Unsinn ausdenken? Wahrscheinlich hat es sogar einen Sinn, dass man diese Vorschrift eingeführt hat. Man hat nur vergessen, diesen Sinn zu erklären und vor allem hat man vergessen, dem Sicherheitsbeamten eine Entscheidungskompetenz zu geben, die den Sinn der Regel und nicht den stupiden Wortlaut stur umsetzt. Derartige Gedanken erschienen jedoch müßig. Wenn schon alle Passagiere als potenzielle Terroristen eingestuft werden, dann ist es doch nahe liegend, dass auch alle Sicherheitskräfte als potentiell inkompetent eingestuft werden. Das passt jetzt wenigstens wieder ins Bild. Misstrauen regiert die Welt. Dabei könnte das Leben so einfach sein …
Wie dem auch sei. Ich hab‘ jedenfalls meine Zahnpaste, das Deo und die Sonnenmilch demonstrativ weggeworfen. Diese Freiheit hab ich mir nicht nehmen lassen. Es war fast wie ein Befreiungsschlag. In dem Moment ist mir klar geworden, was Herr Schäuble gemeint hat, als er sagte, man brauche Regeln, um sich frei fühlen zu können. Sinn und Verstand würden so einen Befreiungsschlag ganz sicher nicht ermöglichen. Er hätte sich erübrigt.
Jetzt hat mich der Spruch von Herrn Schäuble schon zum zweiten Mal zum Lachen gebracht. Einmal war es, als ich ihn original über Phoenix hörte und jetzt noch einmal. Ja, ja, je intensiver man die Freiheit zum Gelingen bringt, desto klitzekleiner wird der Rest, der dann noch übrig bleibt.;-)
Herr Schäuble hat nicht Recht! Er hat eine Meinung zur Freiheit. Leider auch die Macht, Verhalten durchzusetzen. Es ist wirklich merkwürdig, dass wir, die uns nichts vorzuwerfen haben, trotzdem dem Generalverdacht des Terrors aussetzen und uns in Situationen befinden, in denen sich Menschen gegenseitig einer „bösen“ Absicht bezichtigen. Mit Security Beamten ein Gespräch auf dem Metaebene zu führen, ist meiner Erfahrung nach unmöglich. Ich versuche das immer wieder (vor allem am Flughafen). Ich passe mich aber an. Da ich oft mit kleinen Kindern verreise und oft deshalb schon sehr gestresst aussehe (früh aufgestanden, lange Anreise zum Flughafen, an vieles Denken (essen,trinken,Spielzeug), nur ein Handgepäckstück und vieles mehr, denke ich, dass ich so nun gar nicht wie eine Terroristin aussehe. Im Ausland ist es wegen meiner Sprachdefizite noch viel besser. In Palma hatte ich dann auch Kontakt mit der Guardia Civil (wegen vieler kleiner durchsichtigen Beutel). Freiheit ist sich entscheiden zu können. Und das gilt für alle, auch für die Beamten. Was ich aber auch glaube ist, dass es schwer auszuhalten wäre, Regeln umzusetzen und dann noch darüber nachzudenken, ob dies unsere Freiheit wirklich schützt. Wir leben in einer sehr paradoxen Welt: Freiheit schützen mit Regeln, die nur mit Unfreiheiten durchsetzbar sind. Beim nächsten mal werde ich wieder eine Diskussion an der Sicherheitskontrolle beginnen: mit positiver Haltung, dass der Mensch gut sein will.
Beim Rückflug hatte ich die Fläschchen im Koffer gelassen. Niemand hat was gesagt.