In diesem Jahr feiert der Verband Integrierte Mediation sein 21 jähriges Bestehen. Die Feier zum runden 20. Jahrestag fiel leider der Pandemie zum Opfer und dem Umstand, dass wir unsere Jahresversammlung in das Jahr 2022 verschieben mussten. Der 21. Jahrestag ist aber auch nicht schlecht. Immerhin ist die Zahl 21, das Produkt aus 3 und 7. Ist das nicht viel näher an der Mediation? Die Sieben steht für das Menschliche. Die drei für Einfallsreichtum, Schöpfergeist und Kreativität. Da können wir uns doch wiederfinden. Also feiern wir in diesem Jahr das 21. Jubiläum.
Ja, Grund zum Feiern haben wir. Wir sind stolz auf das, was wir und unsere Mitglieder für die Mediation in den 21 Jahren geleistet haben. Mit mehr als 500 Mitgliedern allein in Deutschland zählen wir zu den großen Verbänden der Mediation. Unsere Auseinandersetzung mit der Mediation hat uns auch zu einem bedeutenden Verband gemacht. Sie führte zur bisher einzigen Theorie der Mediation und zeigt Wege zu einer wirkungsvollen Implementierung. Auch deshalb sind wir nicht nur ein Verband. Wir sind eine Bewegung in der Mediation und wir haben eine Vision: „So verstehen wir uns!“.
Die integrierte Mediation lebt eine Tradition, die bis in die Mitte der 1990-er Jahre zurückreicht. Die Präzision mit der sie sich heute auszeichnet, war nicht von Anfang an gegeben. Den Ursprung fand sie in den Gerichtsverfahren, die auf das Streitkontinuum bezogen als unvollständig wahrgenommenen wurden. Genauer gesagt, fand sie ihren Ursprung in den Verfahren der Familiengerichtsbarkeit in Altenkirchen. Ihre ersten Gehversuche unternahm sie in dem so genannten Altenkirchener Modell. Im Biotop Altenkirchen, wie Kempf das Verhandlungsklima dort bezeichnete, wuchs etwas, das es nach der Meinung vieler Fachleute gar nicht hätte geben können.
Der Psychologe und Mediator Eberhard Kempf, der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Ralf Käppele und der damalige Familienrichter Arthur Trossen haben sich zusammengetan, um Wege aus hoch eskalierten Familienkonflikten zu finden. Ihr Ziel war es, die Sachbearbeitung zu erleichtern und den Parteien aus dem selbstzerstörerischen Konfliktverhalten herauszuhelfen. Natürlich ging es dabei auch um die Kinder, die von der Deeskalation unmittelbar profitierten. Alles begann mit dem sogenannten Babysitterfall. Das Bemerkenswerte an dem Fall war, dass anscheinend nur ein markantes Wort, hinter dem sich ein Reframing verbarg, das Problem der Eltern lösen konnte. Diese beeindruckende Erfahrung inspirierte dazu, das Gerichtsverfahren mit weiteren Kommunikationstechniken auszustatten. Es gab genügend Fälle um auszuprobieren, was möglich ist und was nicht. Auffällig war, dass alle eingesetzten Techniken auch in der Mediation bekannt sind und dort angewendet werden. Schnell zeigte die Erfahrung jedoch, dass die Verwendung solcher Techniken zwar das Verhandlungsklima verbesserte. Sie genügte jedoch nicht, um die Konflikte vollständig aufzulösen.
Im Babysitterfall wurde zwar der Streit beigelegt, der Konflikt auf der Beziehungsebene wurde aber nicht wirklich bearbeitet. Er wurde nicht einmal thematisiert. Lediglich das Problem wurde gelöst.
Parallel zum Altenkirchener Modell entwickelte sich die sogenannte Cochemer Praxis. In beiden Modellen konnte herausgearbeitet werden, dass hoch eskalierte Konflikte ohne eine streitverweigernde Autorität oder ein befriedendes Umfeld406 nicht beigelegt werden können. Was in Cochem über den Arbeitskreis außerhalb der Verhandlung ermöglicht wurde, gelang in Altenkirchen aus dem Verfahren selbst heraus. Mit der Zeit verstanden sich Richter und Anwälte als ein Team, das gemeinsam dafür verantwortlich war, den Weg in die Konfliktauflösung herzustellen. Die Techniken wurden mit Methoden angereichert, bis sich das Verfahren schließlich vollständig wie eine Mediation anfühlte. Die Rolle des Mediators wurde in einer ideellen Arbeitsteilung abgebildet. Die Phasen wurden über das gesamte Verfahren verteilt und teilweise schon in das schriftliche Vorverfahren eingebettet. Seitens des Gerichts wurde die klare Erwartung an die Eltern gerichtet, dass sie für die Lösung des Konfliktes alleine verantwortlich seien und zu kooperieren haben. Das Gericht war behilflich, wenn die Parteien eine Unterstützung in der Kooperation benötigten. Im Laufe der Zeit wurden die in vielen weiteren Verfahren gewonnenen Erkenntnisse in dem interprofessionellen Gründerteam ausgewertet und in ein Konzept überführt.
War das jetzt eine Mediation? Fest stand lediglich, dass diese Vorgehensweise kein typisches Gerichtsverfahren mehr war und auch keine reine Mediation, worunter die integrierte Mediation eine formelle Mediation mit einem nicht entscheidungsbefugten Dritten versteht. In Diskussionen mit anderen Mediatoren bildete sich die Bandbreite der verschiedenen Sichten auf die Mediation heraus. Manche bezeichneten sogar den Babysitterfall schon als eine Mediation. Die auf das formale Argument abstellende Meinung, dass der Richter wegen seiner formalen Position keine Mediation durchführen könne, etablierte sich jedoch in der Außenwelt.
Die Anhänger der integrierten Mediation gaben sich mit der an Formalien ausgerichteten Argumentation nicht zufrieden. Sie haben sich deshalb über die Jahre hinweg mit der zentralen Frage auseinandergesetzt, was eine Mediation genau ist und was sie ausmacht. Sie haben erkannt, dass die formalen Unterscheidungskriterien nicht geeignet sind, die Verfahren voneinander abzugrenzen. Es wirkte irritierend, dass eine Mediation trotz eines identischen Handelns aus rein formalen Gründen nicht erkannt wurde. Auch wurde deutlich, dass die formale Sicht ungewollte Konsequenzen hervorruft und vom Kern der Mediation ablenkt.
Eine öffentliche Mediation kann wegen des Prinzips der Vertraulichkeit keine Mediation sein. Ist sie dann und deshalb eine Schlichtung? Unterscheidet sich die Schlichtung von der Mediation nur durch ein formales Kriterium und nicht durch die spezifisch mediative Herangehensweise? Verliert sich das Mediieren in der Bedeutungslosigkeit, wenn es nicht in einem Verfahren untergebracht werden kann, das der Mediation i.S.d. Mediationsgesetzes entspricht?
Die Überlegungen der integrierten Mediation führten zu der Erkenntnis, dass es bei der Einschätzung eines Verfahrens eher auf dessen Eigenschaften ankommt, als auf seine Formalien. Die Formalien teilen das Schicksal der Prinzipien. Sie sollen die Abgrenzung erleichtern, ohne die Eigenschaften des Verfahrens zu ändern. Um die Methodik herauszustellen, schlägt Breinlinger beispielsweise vor, auf das mediative Handeln abzustellen. Der Fokus verändert sich bereits, wenn das Substantiv Mediation, durch das Verb mediieren ersetzt wird.
Die präzise Abgrenzung der Mediation ergibt sich aus der erweiterten Mediationsdefinition. Daraus folgt, dass die Vorgehensweise im Altenkirchener Modell zweifellos keine formelle Mediation war. Sehr wohl handelte es sich später aber um eine substantielle Mediation, wenn die wesentlichen Elemente und das Konstrukt der Mediation vollständig, wenn auch in einem anderen Rahmen (Container), vorgehalten werden kann. Dieses Axiom bildet die Grundannahme der integrierten Mediation.
Welche Elemente erforderlich sind, um substantiell eine Mediation abzubilden, konnte im Lauf der Zeit immer detaillierter herausgearbeitet und später mit dem Begriff der funktionalen Einheiten beschrieben werden. Die fehlende Entscheidungsbefugnis wurde als ein bedeutsames, formales Element entgegen der herrschenden Meinung, lediglich als ein Prinzip der Mediation und nicht als eines ihrer Eigenschaftsmerkmale identifiziert und mit dem noch vorzustellen- den Grundsatz der Indetermination containerunabhängig konkretisiert.
Die Geschichte der integrierten Mediation beschreibt einen ebenso langen wie fruchtbaren Weg, der sich intensiv mit den Grenzfällen der Mediation auseinanderzusetzen hatte. Heute bietet sie Erklärungsansätze für die Mediation und Einsatzmöglichkeiten, die bis hin zu einer alltäglichen Verwendung reichen. Die nur geringfügigen Abweichungen zum herkömmlichen Verständnis der Mediation zeigten große Wirkung. Die Einführung des Begriffs integrierte Mediation wurde erforderlich, um die unterschiedlichen Sichten auf die Mediation und ihre Herleitungen herauszuarbeiten und ansprechen zu können.
Auch heute noch begegnen wir ganz unterschiedlichen Sichten auf die Mediation. Das diffuse Verständnis der Mediation verhindert, dass ihre Kompetenz gesehen wird. Daraus ergibt sich der Ansatzpunkt für unsere Vision. Stellen Sie sich vor, die Mediation wäre nicht nur ein formales Verfahren, das alternativ zum Gericht eingesetzt wird. Was würde es uns bringen? Wie wäre es, wenn Sie sich vorstellen, die Kompetenz der Mediation und Ihr Zugang zu nützlichen Lösungen wären der Teil eines gesellschaftlichen Konzeptes wie Menschen miteinander umgehen und nicht lediglich eine Dienstleistung? Wir meinen, dass die Welt dann ihren Frieden findet. Jetzt verstehen Sie auch den Claim unter unserem Logo, denn: „So verstehen wir uns“.
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